“Funktionsträger“ der Bandidos sind im Visier der Polizei. Norderstedter Hells Angels beobachten die Expansion der verfeindeten Bande.

Norderstedt/Bad Segeberg. Die Antwort klang entrüstet: "Bei uns sind keine Rocker!" Mehrfach haben die lokalen Medien Sabine und Jan-Erik L. gefragt, ob ihr Lokal regelmäßig von den berüchtigten Bandidos besucht werde. Und genauso regelmäßig haben die Geschäftsführerin des "Antikschuppens" in Bad Segeberg und ihr Ehemann, der dort regelmäßig Musik auflegt, diese Besuche bestritten. Die Diskothek gehört zu den angesagten Partytreffpunkten in der Region. Berichte, dass sich das Lokal zu einem Rockertreffpunkt entwickelt, wären schlecht fürs Geschäft.

Angesichts der neuen Ermittlungsergebnisse der Polizei erscheinen die Behauptungen des Paares jedoch in einem anderen Licht. Die Ermittler sind davon überzeugt, dass Jan-Erik L. selbst den Bandidos angehört und eine führende Position in dem "Bandidos Probationary Chapter Northgate" übernommen hat, der sich im Raum Bad Segeberg etabliert hat. Offiziell bezeichnet die Polizei Jan-Erik L. als "Funktionsträger" der Bandidos.

+++ Mitglieder der Rockerbanden dürfen legal Waffen besitzen +++

Bereits im vergangenen Jahr hatte die Norderstedt-Redaktion des Hamburger Abendblatts über Erkenntnisse des Landeskriminalamtes berichtet, denen zufolge sich die Diskothek "Antikschuppen" zu einem Treffpunkt der Bandidos entwickele. Um herauszufinden, dass L. der Rockervereinigung zumindest sehr nahe steht, reicht ein Blick ins Internet. Der kahlköpfige Geschäftsmann macht auf Facebook kein Geheimnis aus seinen Verbindungen.

Zu seinen "Freunden" bei Facebook zählen diverse Bandido-Clubs in Deutschland und im Ausland - von Dänemark bis Nicaragua. L. ist darüber hinaus mit Personen befreundet, die aus ihrer Mitgliedschaft bei den Rockern keinen Hehl machen und sich zum Beispiel "Bandido Mario" oder "Bandido Ralle" nennen. Zu seinen Kontakten zählen außerdem die Chicanos Neumünster, ein Unterstützerclub der Bandidos.

Ermittler berichten, vor wenigen Wochen sei L. in dem sozialen Netzwerk mit Bandido-Kutte zu sehen gewesen. Kutten heißen in der Szene die Motorradjacken, die mit dem Emblem des Rockerclubs geschmückt sind. Jetzt ist auf seinem Profilfoto der Klassiker unter den Fortbewegungsmitteln bei den Rockern zu sehen: ein Motorrad der Marke Harley-Davidson. Auf einem anderen Foto posiert er mit einem Discjockey auf einer Harley, die in den Bandidos-Farben Rot und Schwarz lackiert ist.

Zu den größten Kunden zählt Möbel Kraft in Bad Segeberg

Dass L. "Funktionsträger" einer Rockerbande sei, beschäftigt mittlerweile auch die örtliche Polizei. Neben seinem Job als Discjockey im "Antikschuppen", wo er als JM-Project firmiert, haben L. und seine Frau gemeinsam einen Sicherheitsdienst geleitet - sie als Inhaberin, er als Prokurist. Zu den größten Kunden zählt Möbel Kraft in Bad Segeberg, das bei internationalen Sportereignissen wie der Fußballweltmeisterschaft zu Public-Viewing-Veranstaltungen einlädt. In der Regel kommen Tausende, für die Ordnung haben bislang der Sicherheitsdienst und das Polizeirevier Bad Segeberg gemeinsam gesorgt. Damit ist es jetzt vorbei. Als der Polizei Hinweise vorlagen, dass L. dem Bandidos-Chapter angehört habe, beendete sie die Zusammenarbeit mit dem Sicherheitsdienst. Dass hinter einem Sicherheitsunternehmen ein führendes Bandidos-Mitglied stehe, habe bei vielen Beamten für ein beklemmendes Gefühl gesorgt, sagte ein Polizeisprecher. Die Polizei geht davon aus, dass die weltweit agierenden Bandidos in Menschen- , Rauschgift- und Waffenhandel verstrickt sind - Delikte, die der organisierten Kriminalität zugerechnet werden.

Aus Sicht des Landeskriminalamtes Schleswig-Holstein gehört die Vermischung von legalen mit illegalen Geschäften zu den typischen Eigenschaften krimineller Rockergruppen. "Das beobachten wir häufiger", sagt Stefan Jung, Sprecher des Landeskriminalamtes. "Gerade in Geschäftsfeldern mit einem Bezug zum Rotlichtmilieu tummeln sich die Mitglieder dieser Gruppen." Im Tattoo-, Gaststätten- und Sicherheitsgewerbe böten die Banden Dienste an, die für ihre kriminellen Aktivitäten nützlich sind. Jung: "Wer als Sicherheitsunternehmen beispielsweise den Sicherheitsdienst einer Diskothek übernimmt, kontrolliert die Tür und damit mögliche kriminelle Geschäfte im Innern." Die Firmen laufen selten auf die Namen der Motorradclubmitglieder. "Wir beobachten, dass entweder Familienangehörige oder Strohleute vorgeschoben werden", so Stefan Jung.

Die Strukturen des Bandido-Clubs haben sich verfestigt

Auch Sabine L. hat inzwischen reagiert. Sie ließ nach Medienanfragen über die geschäftlichen Aktivitäten ihres Mannes über den Frankfurter Rechtsanwalt Florian Frisse mitteilen, Jan-Erik L. sei seit dem 1. Februar nicht mehr bei dem Sicherheitsdienst beschäftigt. Per Pressemitteilung wies Sabine L. am selben Tag darauf hin, dass es sich bei den Bandidos nicht um eine verbotene Vereinigung handele. Sie habe mit Möbel Kraft vereinbart, dass die Veranstaltungen des Unternehmens zur Fußball-Europameisterschaft in diesem Jahr nicht von ihrem Sicherheitsdienst betreut werden.

Im August 2011 hatten sich die Bandidos in Bad Segeberg etabliert. Inzwischen haben sich die organisatorischen Strukturen der Bande verfestigt. Damals wurde das Segeberger Bandidos-Chapter in der Hierarchie der Rocker noch als Club auf Probe ("Prospect") eingeordnet. Mittlerweile haben die Kuttenträger den Anwärterstatus ("Probitionary") erreicht. "Das ist die Vorstufe zum Vollchapter", sagt LKA-Sprecher Jung. Die Ermittler haben keinen Zweifel, dass der Aufstieg mit tatkräftiger Hilfe von Jan-Erik L. geplant wurde.

Im Landeskriminalamt ermittelt die Sonderkommission Rocker seit Jahren gegen Mitglieder der Bandidos und der rivalisierenden Hells Angels. Vor wenigen Jahren war es zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Gruppen gekommen, die als "Küstenkrieg" Schlagzeilen machten. Innenminister Schlie hat bereits zahlreiche Ableger der Clubs verboten, zuletzt im Januar das alteingesessene Charter der Hells Angels in Kiel. Ein landesweites Verbot der Angels und Bandidos hält Schlie jedoch aus vereinsrechtlichen Gründen nicht für möglich.

Aufmerksam beobachtet die Polizei auch die Bemühungen der Segeberger Bandidos, ein Vereinsheim als festen Treffpunkt zu gründen. Inzwischen gilt als sicher, dass sich die Rocker in der ehemaligen Diskothek "Déjà vu" in Wahlstedt niederlassen wollen, die als "Russendisco" bekannt war und seit Monaten geschlossen ist. Offenbar zogen sich die Mitglieder aus dem "Antikschuppen" zurück, nachdem das Hamburger Abendblatt über den Treffpunkt berichtet hatte. Im Januar flog ein Molotowcocktail gegen das "Déjà vu", richtete aber keinen Schaden an. Die Täter wurden bislang nicht ermittelt.

Die verfeindeten Hells Angels beobachten die Konkurrenz

Auch die Unterstützer der Segeberger Bandidos formieren sich. Im Internet kündigen sie den Aufbau einer Website des "Bandidos-Support Clubs in Bad Segeberg" an.

Nicht nur die Polizei verfolgt genau, was sich in der Szene im Raum Bad Segeberg abspielt. Die verfeindeten Hells Angels beobachten die Aktivitäten der Konkurrenz. Sollten sich die Bandidos im Raum Bad Segeberg als vollwertiger Club mit eigenem Treffpunkt etablieren, könnten die Angels diese Aktivitäten als Eindringen in ihr abgestecktes Revier werten. Ermittler berichten, dass die Höllenengel aus Norderstedt und die Red Devils, ihr Unterstützerclub aus Alveslohe, demonstrativ in ihren Kutten auf Motorrädern in Bad Segeberg unterwegs waren, um auf ihre Revieransprüche aufmerksam zu machen. Wie berichtet, sind die Hells Angels mit ihrem Charter Northend von Alveslohe nach Norderstedt umgezogen.

Jan-Erik L. und Möbel Kraft haben auf Anfragen der Norderstedt-Redaktion des Hamburger Abendblatts nicht reagiert.