Rechtsmedizinerin berichtete vor Gericht, wie eine Speichelprobe dem fünffachen Frauenmörder Hans-Jürgen S. zum Verhängnis wurde.

Kiel/Henstedt-Ulzburg. Die Speichelprobe Nummer 88 ist dem Frauenserienmörder Hans-Jürgen S. zum Verhängnis geworden. Das sagte nach Angaben der Nachrichtenagentur dpa die Leiterin der DNA-Abteilung des Instituts für Rechtsmedizin in Kiel, Nicole Wurmb-Schark, am zweiten Tag des Prozesses gegen den 65 Jahre alten Maurer aus Henstedt-Ulzburg. Hans-Jürgen S. muss sich wegen fünffachen Mordes vor dem Landgericht Kiel verantworten.

Die Rechtsmediziner hatten im Winter 2010/2011 rund 150 Speichelproben mit Spuren verglichen, die nach dem Mord an der Schwesternschülerin Gabriele S. im Jahr 1984 gesichert worden waren und mit Hilfe eines neuartigen Analyseverfahren entschlüsselt wurden. Die Proben stammen von Männern, die 1984 im Umfeld des Mordopfers erstmals ermittelt und befragt worden waren.

Die 88. Probe, die den Durchbruch für die Kieler Mordkommission brachte, stammte allerdings nicht vom Täter direkt, sondern von seinem Bruder. Aufgrund der genetischen Ähnlichkeit war klar, dass der Täter ein enger Verwandter des Mannes sein musste, der die Speichelprobe abgegeben hatte. "Da war eine Probe, die mit den DNA-Spuren des Landeskriminalamtes vom Tatort teilweise identisch war. Das erschien mir auffällig", sagte die Rechtsmedizinerin am Montag vor dem Landgericht. An ihrem Institut wurde dann in aufwendigen Verfahren die Hypothese aufgestellt, dass die Tatortspur mit 99,996-prozentiger Wahrscheinlichkeit von einem Bruder stammen müsse.

Der 65 Jahre alte Angeklagte aus Henstedt-Ulzburg ist Vater und Großvater und muss sich seit dem 21. Dezember wegen Mordes verantworten. Der Mann gestand, von 1969 bis 1984 fünf junge Frauen ermordet zu haben. Hans-Jürgen S. wurde Anfang April 2011 festgenommen. Nachdem die Speichelprobe seines Bruders analysiert worden war und feststand, dass Hans-Jürgen S. als Täter infrage kommt, hatten Ermittler der Mordkommission ihn in seiner Wohnung am Eschenweg aufgesucht und befragt. Freiwillig gab er die Speichelprobe ab, die ihn wenig später als Täter überführte. Eine Streifenwagenbesatzung hatte die Probe sofort zur Kieler Rechtsmedizin gefahren, wo für eine sofortige Untersuchung alles bereitstand.

"Am 5. April 2011 bekamen wir dessen Speichelprobe, anonymisiert als Probe HS56", berichtete Nicole Wurmb-Schark. "Wir hatten für die Untersuchung alles vorbereitet und das Ergebnis noch am selben Tag." Am Ergebnis der DNA-Untersuchung gibt es aus wissenschaftlicher Sicht keinen Zweifel. "Diese Kombination gibt es nur einmal unter 100 Billiarden Menschen. Es stand damit mit nahezu absoluter Sicherheit fest, dass HS56 der Spurenleger ist", sagte die Wissenschaftlerin.

Hans-Jürgen S. gestand den Mord an Gabriele S., nachdem die DNA-Analyse ihn zweifelsfrei überführt hatte. Das Amtsgericht Kiel erließ Haftbefehl, S. wurde ins Untersuchungsgefängnis in Neunmünster eingewiesen und mehrfach von der Mordkommission befragt.

Wochen nach dem Geständnis meldete er sich erneut bei den Ermittlern und bat um ein weiteres Gespräch. Dabei gab Hans-Jürgen S. vier weitere Sexualmorde zu. Der erste Mord des Serientäters liegt mehr als 40 Jahre zurück. Er lauerte 1969 der 22-jährigen Jutta M. an einer Bushaltestelle auf. Zu diesem Zeitpunkt war er selbst 22 Jahre alt. Wenige Wochen später tötete er laut Anklage die 16 Jahre alte Renate B. aus Norderstedt, die nach einem Discobesuch nach Hause trampte. Das dritte Opfer war die 22 Jahre alte Angestellte Angela B. aus Hamburg. Im Oktober 1972 verschwand dann die 15-jährige Ilse G. aus Norderstedt. 1984 tötete er schließlich Gabriele S.

Der Täter ging in allen Fällen mit äußerster Brutalität vor und vergewaltigte seine Opfer, die er zufällig auswählte. Er soll sich auch an Leichen sexuell vergangen haben. Der Angeklagte hatte über seinen Verteidiger verlauten lassen, die Mordserie in den 60er- und 70er-Jahren sei eine "unfassbare Phase" in seinem Leben gewesen. "Es ist über mich gekommen, ich habe die Kontrolle verloren", hatte S. in den Vernehmungen gesagt. "Das war wie so ein Tunnel."

Vor Gericht wurden am Montag auch die Obduktionsberichte verlesen. Zwei der Leichen waren demnach nahezu vollständig skelettiert. Die jungen Frauen waren damals erst mehrere Wochen nach ihrer Ermordung gefunden worden. Der Prozess wird am 16. Januar fortgesetzt.