Auf einem Resthof wollen die Norderstedter Kinderdorf-Eltern Mona Pelz und Leif Schumann den Jugendlichen über Tiere Werte vermitteln.

Norderstedt. Es sind Kinder wie die 13-jährige Sabine (Name geändert), die im SOS-Kinderdorf Harksheide rausfliegen, weil keiner mehr an sie herankommt. Die mit ihren 13 Jahren schon mehr Katastrophen hinter sich haben, als ein einzelner Mensch aushalten kann. Die mürbe gesabbelt wurden in unzähligen Wohngruppen und pädagogischen Projekten. Die nicht mehr können, die nur noch Aggression sind und keine Liebe kennen.

"Vor Sabine hatten alle Angst - selbst die Erzieher", sagt Mona Pelz (34), seit zehn Jahren Kinderdorfmutter. Wenn das Mädchen durchdrehte, zogen alle den Kopf ein. Dann brachte Mona Pelz die Hündin Paula mit in die Gruppe. Als bei Sabine mal wieder alle Dämme brachen, verkrümelte sich die Hündin unter einen Schreibtisch und wimmerte. Sabine schaute irritiert - und zeigte die erste menschliche Regung, das erste Anzeichen von Anteilnahme seit Langem. Sie krabbelte unter den Tisch zu Paula. "Du brauchst keine Angst vor mir zu haben." Seither beherrscht sich Sabine, geht lieber raus zum Spazieren, wenn sie ihren Rappel bekommt - aus Rücksicht vor Paula und immer öfter auch aus Rücksicht vor den anderen in der Gruppe.

Erfahrungen wie diese haben die Pädagogen des SOS-Kinderdorfes dazu bewogen, ein bundesweit einzigartiges Projekt ins Leben zu rufen. Sie wollen einen Resthof finden, irgendwo in einem zehn Kilometer Radius um Norderstedt (siehe Kasten rechts). Nach einem aufwendigen Umbau sollen acht Jugendliche hier einziehen. Und natürlich Tiere: Pferde, Ponys, Hühner, ein Hund, eine Katze, vielleicht Schweine. Im Wechsel wollen sechs Pädagogen und Betreuer versuchen, über die "tiergestützte Pädagogik" den Zugang zu den Jugendlichen zu finden. Eine Insel auf dem platten Land soll entstehen, auf der Jugendliche stranden können, die keiner mehr will.

Mona Pelz erarbeitet zusammen mit ihrem Kollegen Leif Schumann (34) das Konzept. "Über die Tiere können diese Jugendlichen Erfahrungen machen, für die wir keine Worte finden könnten. Sie bekommen einen Zugang zu sich selbst", sagt Mona Pelz. Die Tiere reagieren auf das, was ein Mensch tut, sie spiegeln dem Jugendlichen, wer er ist. Die Tiere reagieren immer ehrlich, wertfrei und sie manipulieren den Menschen nicht. "Pferden ist es egal, ob man eine Markenjeans trägt", sagt Leif Schumann. Und die Tiere werden eine ähnliche Vita haben, wie die Jugendlichen, die sich um sie kümmern sollen. "Ein Pferd, das geschlagen wurde, das kein Futter bekommen hat, ist dabei und eines, dem ein Auge ausgestochen wurde", sagt Mona Pelz. Die Leidensgeschichte des Tieres sorgt für Solidarität bei einem Jugendlichen mit einem kaputten Lebensweg. "Die Erfahrung, so ein Tier zu versorgen, zu erleben, wie es trotz allem Vertrauen zum Menschen aufbaut - das ist für die Jugendlichen von großem Wert", sagt Pelz.

Die Zielgruppe für das Projekt, das auch bei der Hamburger Jugendbehörde auf sehr großes Interesse stößt, besteht aus Jugendlichen zwischen elf und 18 Jahren. "Es gibt immer mehr Fälle, die mit den üblichen stationären Angeboten nicht mehr erreichbar sind", sagt Kinderdorf-Leiter Jörg Kraft. "Wir verlieren die Jugendlichen immer öfter. Wir sehen ihr Potenzial, aber wir können sie nicht mehr beeinflussen." Das Resthof-Projekt wird dringend gebraucht. Derzeit seien zwei Jugendliche im Harksheider Dorf untergebracht, die wegen ihrer Unzugänglichkeit und Aggressivität nicht mehr tragbar für die Wohngruppen seien. Für sie könnte das Projekt zu spät kommen. "Es kann sein, dass sie gehen müssen", sagt Kraft.

Wer im Kinderdorf oder in anderen Wohngruppen scheitert, kommt zunächst in eine zentrale Auffangstelle in Neumünster, ein Sammelbecken für Menschen in Extremsituationen. Ein Schock für die elternlosen Jugendlichen und nicht selten der Expressweg auf die Straße. "Wenn die Jugendlichen 18 werden, hauen sie ab und leben lieber auf der Straße. Und wir können nichts mehr tun, das ist deren Entscheidung", sagt Mona Pelz. Deswegen ist es für das Projekt wichtig, die Jugendlichen so früh wie möglich zu betreuen. Wenn sie erst mal 16 Jahre alt sind, dann bleibt zu wenig Zeit.