Gerichtsreporterin Martina Böhnke beschrieb im Februar den Tod der Jessica S. und die juristische Aufarbeitung in der OstthüringerZeitung:

"Papa, halt mich fest, mir geht es so schlecht", sagte Jessica zu ihrem Stiefvater. Es war der Abend des 27. Mai 2004, gegen 21 Uhr im thüringischen Neugernsdorf (Kreis Greiz). Das Kind fieberte und fantasierte. Wenig später kam der Notarzt-Wagen und nahm Jessica mit. Eltern und Tochter sollten sich nicht mehr wiedersehen.

Am 4. Juni 2004 starb Jessica - in einem sächsischen Krankenhaus. Im Kreis Greiz gab es Wochen zuvor mehrere Fälle der schweren und seltenen Hirnhautentzündung. Keiner endete allerdings so brutal wie Jessicas, obwohl ihre Kinderärztin die typischen Symptome wie Fieber, Kopfschmerzen und Einblutungen in der Haut erkannte. Sie bestellte umgehend ein Bett in der Kinderklinik Greiz und informierte den Notarzt. Doch mit dessen Entscheidung, das Mädchen zur Intensivstation Greiz zu bringen, begann das Drama. Jessica wurde nach Greiz, Gera, wieder nach Greiz, dann nach Reichenbach und Plauen gefahren. Wie die Eltern später erfuhren, musste die Tochter auf dem Weg nach Plauen intubiert und wiederbelebt werden, weil ihr Herz ausgesetzt hatte. Erst nach einer Irrfahrt von mindestens 120 Kilometern, gegen 2.30 Uhr, ist das Kind in Zwickau aufgenommen worden. Nach einer Woche im Koma ist Jessica dort am 4. Juni 2004 um 8.25 Uhr gestorben. Die Beteiligten weichen auch fünf Jahre nach dem unfassbaren Geschehen kritischen Fragen aus. Die Greizer Landrätin Martina Schweinsburg verweigert als Aufsichtsratsvorsitzende des Kreiskrankenhauses eine Stellungnahme. Auch die involvierten Kliniken schweigen. Begonnen hat die Zeit der Ausflüchte und Rechtfertigungen jedoch schon wenige Tage nach dem Tod des Mädchens. Das Gesundheitsamt erklärte, die 13-Jährige hätte sowieso nicht überlebt und empfahl den Eltern, sich "jetzt lieber um ihre anderen Kinder zu kümmern". Ein Vierteljahr später gestand der Chefarzt des Greizer Krankenhauses zumindest ein, dass "Fehler gemacht" worden seien, weil Jessica "keine notärztliche Versorgung erhielt". Die von der Staatsanwaltschaft beauftragten Gutachter können nicht nachvollziehen, warum das Kind nicht per Hubschrauber nach Jena geflogen wurde. Nach deren Ansicht sei nicht klar, ob Jessica auch ohne diese Verzögerung überlebt hätte. Anders sieht es der Sachverständige, den die Eltern um ein Gutachten gebeten hatten. Der Experte, der früher selbst leitender Notarzt war, spricht von einem Versagen des Rettungsdienstes. Dieser hätte für eine Ampulle Antibiotika zur Erst-Behandlung der Meningitis im Notfallkoffer sorgen müssen. Zudem verweist er auf einen Parallelfall, bei dem einem Mädchen aus Darmstadt beide Beine amputiert wurden, weil die Ärzte zu spät handelten. Ein anderer Arzt erklärt derweil das grundlegende Problem. Er kennt den Fall bestens, will aber anonym bleiben. "Das Mädchen könnte noch leben", sagt er. Es sei weit verbreitet, dass Kliniken die Notfallversorgung nicht gewährleisten - obwohl das Pflicht ist. "Wenn sie angeblich keine freien Betten auf der Intensivstation haben, melden sie sich bei der Rettungsleitstelle ab." Die Rettungsdienste wüssten dann nicht, wohin mit den Patienten - auch wenn jede Minute zählt. "Wenn daran nichts geändert wird, kann so etwas jeden Tag wieder passieren", beklagen Jessicas Eltern. Eine Schuldige wurde bisher gefunden: Die Ärztin, die am 27. Mai in der Greizer Notaufnahme Dienst hatte und die, so die Eltern, "nichts weiter tat als zu telefonieren, damit sie Jessica wieder loskriegt", wurde im September 2007 wegen unterlassener Hilfeleistung zu einer Geldstrafe von 7200 Euro verurteilt. Ein Trost ist das für Jessicas Eltern nicht.