Die Norderstedter Zeitung berichtet regelmäßig über einschneidende Erlebnisse in Norderstedt und im Kreis Segeberg.

Norderstedt. NZ-Redakteurin Claudia Lux schrieb am 21. März 1985 über eine denkwürdige Sitzung im Norderstedter Rathaus.

Tumulte, Handgreiflichkeiten und Polizeiaufgebot: Die Norderstedter Stadtvertretung erlebte am späten Dienstagabend wahrlich keine Sternstunde der Demokratie. Weil Bürgervorsteher Herbert Paschen bei der Diskussion um die umstrittene Bundeswehr-Ausstellung Unruhen befürchtete, hatte er das Norderstedter Polizeirevier benachrichtigt. Seine Ahnung bestätigte sich anders als erwartet. Denn handgreiflich wurde bei der Skandal-Sitzung der CDU-Stadtvertreter Horst Reußmann. Er stürmte auf eine Zuhörerin los und wollte ihr die Kamera aus der Hand reißen.

CDU-Stadtvertreter Reußmann greift Edda Lechner an

Horst Reußmann, von dem selbst Fraktionskollegen sagen, er griffe leicht mal daneben, fühlte sich provoziert. Der CDU-Politiker stürzte sich auf Edda Lechner, als die Frau die Kamera zückte. Parteifreunde rissen Reußmann von der Zuschauerin weg. Noch im Rausgehen triumphierte der Angreifer: Sie haben hier nicht zu fotografieren!"

Aufgeheizt war das Klima jedoch schon vorher: Die unschöne Szene folgte einer Aktion der Norderstedter Friedensinitiative. Kaum hatte Bürgervorsteher Herbert Paschen (CDU) den Tagesordnungspunkt zur Ausstellung "Unser Heer" aufgerufen, flatterten von der Zuschauertribüne Transparente. Männer und Frauen forderten schriftlich und in Sprechchören: "Keine Militärshow in Norderstedt" und "Nie wieder Krieg!"

Auf diesen Zwischenfall hatte sich Paschen, der die Sitzung sofort unterbrach und notfalls die Räumung des Saales ankündigte, schon Dienstagvormittag vorbereitet. Der Bürgervorsteher informierte Polizeichef Eberhard Geyer., Er vermutete, dass aufgrund des Diskussionspunktes zu Störungen kommen würde. Paschen, parlamentarischer Hausherr im Plenarsaal, bat um Unterstützung und geeignete Maßnahmen.

Die Polizei rückte mit zehn Wagen und 20 Männern an.

Die geeigneten Maßnahmen rückten dann gegen 21.30 Uhr vor dem Rathaus an: In Form von zehn Streifenwagen mit 20 Mann Besatzung. Drei Streifenteams hatte Geyer ins Foyer geholt, die anderen warteten draußen. Da die Friedensinitiative nach mehreren Aufforderungen durch den Bürgervorsteher die Transparente wieder einpackten, schritt die Polizei jedoch nicht ein.

Die Vorgänge während der Sitzung waren auch Thema eines privaten Fahrstuhlgespräches zwischen Bürgervorsteher Herbert Paschen und Bürgermeister Dr. Volker Schmidt. Es fielen die Worte "68er Jahre". Und Bürgermeister Schmidt fragte sich und den Bürgervorsteher laut, ob es denn nun so klug gewesen sein, "die zehn bis zwölf Wagen da draußen hinzustellen". In der Sitzung lieferten sich die Fraktionen heftige Wortgefechte. Im Meinungskrieg liegen dabei nicht nur die Fraktionen. Bürgermeister Schmidt (SPD) bekannte sich ausdrücklich zu der von ihm genehmigten Schau und stellte sich ebenso deutlich gegen seine Parteigenossen. Während SPD und Liberale die Ausstellung absagen wollten, drehte die CDU den Spieß um: Sie kam mit einem Änderungsantrag, der "endlich mal Flagge zeigen" sollte, so CDU-Stadtvertreter Karl-Heinz Mette.

Nach dem Beschlussvorschlag der CDU sollte sich die Stadtvertretung nicht nur zur Ausstellung, sondern auch gleich noch zur Bundeswehr und deren Verteidigungsauftrag bekennen. Das Norderstedter Parlament unterstütze die Bundeswehr in ihrem Bemühen, die Öffentlichkeit über die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik aufzuklären. Schließlich wollten die Christdemokraten eine Patenschaft der Stadt für eine Kompanie - vorrangig in Schleswig-Holstein - in die Wege leiten.

Heftiger Streit über das Bekenntnis zur Bundeswehr

SPD und Liberale Fraktion reagierten mit Empörung. SPD-Sprecher Günther Hasenberg verwies auf die Diskussion um die atomwaffenfreie Zone. Eine Stellungsnahme dazu sei damals abgelehnt worden, da dies nicht die Sache der Norderstedter Stadtvertretung sei. Die SPD folgerte: Auch ein Bekenntnis zur Bundeswehr sei keine kommunale Aufgabe. SPD und Liberale zogen ihre Konsequenzen: Sie verließen bei der Abstimmung über den CDU-Antrag den Saal. "Das ist keine Waffenschau, das ist eine Informationsschau", befand CDU-Sprecher Karl-Heinz Mette. Anders die SPD: Sie sei zwar für die Bundeswehr, aber gegen eine Machtdemonstration mit Waffen.

Als die Ausstellung am 22. April aufgebaut wurde und die Bundeswehr auf Tiefladern Panzer und anderes Gerät heranfuhr, blockierten 35 Norderstedter die Fahrbahn für eine halbe Stunde. Die Polizei löste die Blockade auf, 13 Demonstranten wurden festgenommen. Begleitet von Diskussionen und Demonstrationen lief die Schau ein Wochenende lang und lockte 20 000 Besucher an.