Historiker fand heraus, dass Wiebke Kruse gar nicht aus dieser Gegend stammte. Die romantische Legende von der Föhrden-Barlerin hat die Hobbyhistoriker und Lokalpatrioten Jahrzehnte dermaßen verzückt und begeistert, dass niemand nach historischen Quellen fragte.

Bad Bramstedt/Föhrden-Barl. Die 300 Bewohner von Föhrden-Barl sind stolz auf ihre Wiebke Kruse. Wiebke-Kruse-Dorf nennt sich die kleine Gemeinde (13 Bauernhöfe) bei Bad Bramstedt, ein Schmuckstück der Dame ist im Wappen verewigt. Seit wenigen Wochen ziert außerdem ein Wiebke-Kruse-Stein einen Rasen an der Bundesstraße. Im September wollen die Föhrden-Barler den 400. Geburtstag der Frau feiern, die fast alle für die berühmteste Tochter des Dorfes halten. Doch ausgerechnet jetzt kommt ein Buch auf den Markt, das die Herkunft des schmucken Dorffräuleins, das dem dänischen König Christian IV. den Kopf verdrehte, infrage stellt. Auch die Bramstedter, die ihre Innenstadt mit einem Wiebke-Kruse-Brunnen schmücken, müssen vermutlich umdenken. Die bittere Wahrheit lautet: Vermutlich kam Wiebke Kruse kam gar nicht aus der Gegend. "Dafür gibt es keinen einzigen Hinweis", sagt der Historiker Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt.

Die romantische Legende von der Föhrden-Barlerin hat die Hobbyhistoriker und Lokalpatrioten Jahrzehnte dermaßen verzückt und begeistert, dass niemand nach historischen Quellen fragte. Man erzählte sich die Geschichte folgendermaßen: Während des Dreißigjährigen Krieges saß Wiebke Kruse an der Osterau in Bramstedt, wusch anmutig Wäsche und erblickte plötzlich hoch zu Ross den dänischen König. Christian IV. sah das Mädchen - und schon war es um ihn geschehen. Kurz entschlossen nahm er die Maid zu sich an seinen Hof, wo sie zur linken des Throns Platz nehmen durfte - eine vornehme Beschreibung dafür, dass Christian IV. Wiebke Kruse zwar nicht geheiratet hat, aber eine innige Beziehung zu ihr pflegte, aus der zwei Kinder hervorgingen.

Zwar bestätigen sämtliche historische Quellen, dass die Holsteinerin länger als jede andere Frau an der Seite des sinnenfrohen Dänenkönigs lebte. Doch den Rest hält Lorenzen-Schmidt, immerhin promovierter Historiker und Oberarchivrat, für ein Märchen oder eine "niedliche Legende". "Das habe ich schon vor Jahren gesagt", berichtet der Wissenschaftler. "Damals wäre ich von den Menschen aus Föhrden-Barl beinahe gelyncht worden."

Die vermutlich wahre Geschichte der Wiebke Kruse hat der dänische Historiker Sune Dalgard bereits vor zwei Jahren aufgeschrieben. Herum gesprochen hatten sich seine Ergebnisse jedoch zunächst nicht, bis der Bramstedter Hobbyhistoriker Jan-Uwe Schadendorf die gebürtige Dänin Renate Boje aus Boostedt um eine Übersetzung bat. Wissenschaftlich aufbereitet hat Lorenzen-Schmidt diesen Text und andere historische Vorträge jetzt herausgegeben und dürfte damit erneut den Zorn mancher Kruse-Fans auf sich ziehen.

Die entscheidende Neuigkeit: Wiebke Kruse kommt vermutlich aus Krempe im heutigen Kreis Steinburg. Das schließt Dalgard aus der Tatsache, dass Christian IV. im Jahr 1633 seiner Wiebke eine Grabstätte an der Kirche von Krempe kaufte. Damals war es in besseren Kreisen üblich, schon zu Lebzeiten Vorbereitungen für die letzte Ruhe zu treffen - und zwar in dem Ort, in dem man zur Welt gekommen war. Tatsächlich lebte damals in Krempe ein gewisser Henrich Kruse, der vermutlich der Vater von Wiebke war. Er stand als Hausvogt in Diensten des dänischen Königs und sah in den Kremper Liegenschaften von Christian IV. nach dem Rechten.

Dalgard räumt auch mit Geschichte von der Liebe auf den ersten Blick zwischen der Bauerntochter und König im Flecken Bramstedt auf. "Wann und wo die Beziehung zwischen dem König und Wiebke Kruse begonnen hatte und sich festigte, ist unklar", heißt es in dem Buch. Fest steht allerdings, dass sie 18 bis 19 Jahre zusammen lebten und kurz nacheinander 1648 starben.

Doch woher kommt die Legende, an die in Bad Bramstedt und im Umland jeder gerne glaubt? Lorenzen-Schmidt macht dafür die berühmteste Tochter Bad Bramstedts verantwortlich: Johanna Mestorf (1828-1909). Die erste Professorin Preußens war eine anerkannte Wissenschaftlerin. Vielleicht achteten deshalb viele Generationen nicht auf den Untertitel ihres 1866 erschienen Buches über Wiebke Kruse, in dem die filmreife Waschszene an der Au nachzulesen ist. Sie nannte das Werk eine "Erzählung".

Die einzige nachgewiesene Verbindung Wiebke Kruses zu Bad Bramstedt bleibt das Gut, das Christian IV. ihr 1633 schenkte. Von dem Anwesen ist nur das Torhaus übrig geblieben, das die Bramstedter selbstbewusst "Schloss" nennen. Das Gut sollte wirtschaftlich die Existenz der königlichen Geliebten sichern, glaubt Lorenzen-Schmidt. Wiebke Kruse sei allerdings fast nie dort gewesen.

Und noch ein Todesstoß für die Legende: Lorenzen-Schmidt hat die Verzeichnisse der Föhrden-Barler Bauernstellen in jeder Zeit gesichtet, aber keinen einzigen Hinweis auf Wiebke Kruse gefunden.

Föhrden-Barls Bürgermeister Hans Jochen Hasselmann lässt sich von diesen Forschungsergebnissen nicht irritieren. Er räumt ein, dass es zwar verschiedene Auffassungen über die Geliebte des Königs gebe. Doch auch Lorenzen-Schmidt habe keine Beweise für seine Theorie.

Verwaltungschef Hans Jochen Hasselmann will wie geplant im September den Wiebke-Kruse-Stein offiziell einweihen und den 400. Geburtstag feiern. "Das ist unsere Wiebke Kruse", sagt der Bürgermeister.