Die Reise von Henstedt-Ulzburg in die Hauptstadt Wellington dauert 40 Stunden. Dort hat der ehemalige Feuerwehrchef einen neuen Job gefunden. In einigen Jahren will das Ehepaar mit seinen Kindern zurückkehren.

Henstedt-Ulzburg

Das Team des privaten Fernsehsenders war mit der Familie Plaß überhaupt nicht zufrieden. Gestresst sollten die Henstedt-Ulzburger in der neuen Heimat aussehen, übermüdet mit quengelnden Kindern einkaufen gehen und sich am besten auch ein bisschen streiten. Doch Nicole (36) und Stefan (41), Leony (7) und ihr kleiner Bruder Thanh (6) entsprachen so gar nicht dem Klischee der genervten Auswanderer-Familien, die sich im Privatfernsehen der Häme und dem Spott der Zuschauer aussetzen. Bei den Plaß' lief der Trip von Henstedt-Ulzburg nach Wellington in Neuseeland glatt. "Wir fühlen uns dort wohl", sagt Nicole Plaß.

Im Januar 2008 ließ sich die Familie am anderen Ende des Erdballs nieder, jetzt sind sie vier Wochen in der alten Heimat zu Gast. "Wir verbringen unseren Urlaub hier", sagt Stefan Plaß, den viele Henstedt-Ulzburger aus seiner Zeit als Chef der Freiwilligen Feuerwehr kennen. Freunde treffen, Zeit für die Familie haben, sich in Henstedt-Ulzburg umschauen - das Programm ist dicht gedrängt. Am Freitag feiert Leony im Haus von Oma und Opa Plaß ihren achten Geburtstag. Am Tag darauf sitzen die Plaßens wieder im Flieger nach Neuseeland. Eine Reise von 40 Stunden liegt vor ihnen.

Noch vor wenigen Jahren regelte Vater Plaß beim Aufklärungsgeschwader 51 der Luftwaffe den Verkehr. Der Fluglotse schob Dienst im Tower in Schleswig-Jagel, manchmal auch beim Auslandseinsatz in Afghanistan. "Ich wollte weg von der Bundeswehr", sagt Plaß. Immer weniger Flüge, immer geringere Anforderungen - damit wollte er sich nicht abfinden. Fest stand jedoch auch, dass Fluglotsen in Deutschland bei der zivilen Luftsicherung kaum eine Chance auf einen Job haben, wenn sie bei der Bundeswehr kündigen. Dass die Familie ins Ausland gehen wird, entschieden Stefan und Nicole Plaß kurz nach der Adoption des kleinen Thanh im Jahr 2003.

Kanada war im Gespräch, Plaß informierte sich außerdem über den Mittleren Osten. Die Neuseeländer wollten ihn zunächst nicht. Kaum war eine Entscheidung gefallen, legte die Familie die Auswanderungspläne frustriert wieder zu den Akten und tröstete sich mit einer großen Reise. Eine "Entschädigung", wie Stefan Plaß formuliert. Dafür sparten er und seine Frau den ganzen Urlaub zusammen. 68 Tage mit den Stationen Tokio, den Fidschi- und die Cook-Inseln, Los Angeles und Neuseeland - die "Entschädigung" konnte sich sehen lassen. Und sie führte schließlich dazu, dass Stefan Plaß doch noch einen Job im Hauptstadt-Flughafen Wellington fand.

Nach einem kurzem E-Mail-Kontakt mit der Flugsicherung hatte sich der Henstedt-Ulzburger während des sechswöchigen Stopps in Neuseeland entschlossen, auf einen kurzen Besuch im Tower vorbeizuschauen. Drei Tage danach kam der Anruf: Plaß könne in einem Jahr anfangen, die Entscheidung müsse in vier Tagen fallen.

"Ich habe länger als Stefan gebraucht, um mich mit Neuseeland auseinanderzusetzen", sagt Nicole Plaß. Die riesige Entfernung schreckte sie am meisten. Dennoch entschied das Paar gemeinsam: "Wir gehen!" Im Januar 2008 war es soweit. Bereut haben die Plaß die Entscheidung bis heute nicht. Nicht einmal Thanh, der vor dem Abflug immer wieder angedroht hatte, notfalls allein in Henstedt-Ulzburg zu bleiben.

Seine große Schwester und er wurden gemeinsam eingeschult. Die ersten sechs Wochen durfte Nicole Plaß noch am Unterricht teilnehmen, um bei Sprachproblemen zu helfen. Wenig später fand die Erzieherin und Musiktherapeutin einen Job - in einer kleinen Musikschule mit deutschem Programm, die sie zufällig entdeckt hatte.

"Am Anfang war es hart", erzählt Leony. Sie konnte nur wenig Englisch, alle Kinder waren fremd. Doch inzwischen haben sie und ihr Bruder in der Schule viele Freunde gefunden, spielen mit anderen Kindern Fußball und Hockey. "Wir wohnen wunderschön", erzählt Nicole Plaß. Die Familie wohnt an einem Hang mit Blick auf eine Halbinsel. Sie und ihr Mann schätzen auch das unkomplizierte Benehmen der Neuseeländer. Nicht begeistert sind sie allerdings, dass dieser Charakterzug auch Nachteile hat, wenn zum Bespiel ein unkomplizierter Handwerker einen vereinbarten Termin sausen lässt, weil gerade das Wetter so schön ist. Probleme bereitet auch eine gesunde Ernährung. Plaß: "Ungesüßten Fruchtsaft zu finden ist sehr schwer." Das Essen sei sehr amerikanisch geprägt.

Doch zurück nach Deutschland will - fürs Erste - keiner. "Jetzt gefällt es mir auch", sagt Thanh. Ein Stück Norddeutschland will er mitnehmen: Der Sechsjährige hat sich beim Bundesligaspiel des HSV gegen Berlin eine Vereinsflagge gekauft. Künftig will er im Internet regelmäßig schauen, wie "seine" Mannschaft sich schlägt.

Für seine Eltern war das Internet schon im ersten Jahr die wichtigste Verbindung ins Holsteinische. Silvester haben sie gemeinsam online per Webcam mit Verwandten und Freunden gefeiert. Stefan Plaß: "Die echten Freundschaften bleiben bestehen."

Schon jetzt steht fest, dass die Zeit in Neuseeland begrenzt ist. Drei bis fünf Jahre will die Familie dort bleiben. Dann geht es zurück nach Deutschland. Doch im Moment haben Leony und Thanh ganz andere Sorgen: In wenigen Tagen müssen sie von ihren Großeltern Abschied nehmen. Der Urlaub in Schleswig-Holstein geht zu Ende.