Die Kaltenkirchenerin gibt ihr bürgerliches Leben auf. Sie will Frauen und Kindern im Amazonasgebiet helfen.

Kaltenkirchen/Norderstedt

Sigrun Kallies steht mitten im Leben. 49 Jahre alt, zwei erwachsene Töchter, die sie weitgehend alleine erzogen hat. Von der Welt hat sie einiges gesehen, weil sie zweieinhalb Jahre in Südafrika gelebt hat. Als kaufmännische Angestellte und Wirtschaftsübersetzerin hat sie ausreichend verdient, um den Lebensunterhalt zu sichern.

Doch das soll nicht alles gewesen sein: Die Kaltenkirchenerin wagt einen neuen Anfang und will ihr bisheriges Leben radikal verändern. Sie gibt ihre gesicherte Existenz auf, um in den Armenvierteln Brasiliens vor allem bedürftigen Frauen und deren Kindern zu helfen. Ihr Konzept für Frauenarbeit ist in dieser Form neu und wird vom Kinderhilfswerk Unicef ausdrücklich gelobt.

Wer Sigrun Kallies gegenübersitzt, wundert sich, dass sie sich dorthin begeben will, wo das Leben brodelt, wo Gewalt an der Tagesordnung ist und oft die Drogenkartelle das Sagen haben. Eine Frau, die Ruhe ausstrahlt und eher sanftmütig wirkt - aber sie weiß ganz genau, was sie will: In "göttlicher Mission" nach Brasilien gehen und dort den Ärmsten der Armen helfen, das ist ihr Anliegen. Zwei Wochen war sie bereits Helferin eines Ehepaares, das in Sao Paulo Kinder- und Jugendarbeit macht. "Dabei habe ich gemerkt, dass ich bei den Menschen gut ankomme", sagt Sigrun Kallies. "Mein Plan ist also alles andere als absurd."

Diese Ansicht vertritt auch das Kinderhilfswerk Unicef: "Ihre Projektidee beeindruckt mich", heißt es in einem Schreiben der Organisation. "Es ist in der Tat wesentlich, einen umfassenderen Projektansatz für die Kinder und ihre Mütter in den brasilianischen Favelas zu finden." Denn Sigrun Kallies geht mit einem besonderen Vorsatz in die brasilianischen Armenviertel. Ihr Anliegen ist es, mit den Frauen in den Favelas zu leben und Hilfe zur Selbsthilfe zu geben.

Als Christin unter Christen will sie den Frauen helfen, Verantwortung für die Kinder zu übernehmen, einander zu helfen, füreinander einzustehen und Vorbild zu sein. Eine Frau, so weiß sie, hat Zugang zu den Wohnungen der Frauen, ein Mann hingegen nicht. Es wird nicht leicht, dass weiß sie auch: "Die Hoffnungslosigkeit, die Armut und das kriminelle Umfeld haben Eigendynamiken, gegen die man arbeiten muss." Aber sie hat auch mitbekommen, dass Frauen, die in einer Favela leben, auch nur das Beste für ihre Kinder wollen. "Sie unterscheiden sich nicht von anderen Frauen auf dieser Welt; sie leben nur unter härteren Bedingungen." Es sind nach den Erfahrungen von Sigrun Kallies die Mütter, die sich um die Kinder kümmern und denen die Hauptverantwortung zufällt, weil die Männer in 90 Prozent der Fälle die Frauen wieder verlassen.

Nichts überlässt die Kaltenkirchenerin dem Zufall. Für die perfekte Vorbereitung hat Sigrun Kallies die Akademie für Weltmission besucht und mit dem Master of Arts in interkulturellen Studien (Missiologie) abgeschlossen. Sie ist angestellt bei der Deutschen Missionsgemeinschaft, die ihr ein Grundgehalt zahlt, muss aber selbst auf die Suche nach Sponsoren für ihre Tätigkeit gehen. Offiziell wird sie von der Christlichen Gemeinde Norderstedt nach Brasilien entsendet. Im August beginnt das zeitlich unbefristete Abenteuer für Sigrun Kallies. Wahrscheinlich wird sie von der Missionsgesellschaft nach Belém im Amazonasgebiet geschickt. Bevor sie dort mit ihrer Arbeit beginnen kann, muss sie noch einen weiteren Vorbereitungskursus besuchen. Sie absolviert ein neunmonatiges Sprach- und Kulturstudium. Dann kann es losgehen mit der Arbeit am Amazonas.