Mittelalterfest: Wie der mittelalterliche Tross um Johannes F. Faget zwischen Pommes und Techno die Nische für das antiquierte Dasein fand.

Norderstedt. Wie es ist, "fogelvrei" zu sein, das kann nachempfinden, wer den Herold Johannes F. Faget beim Durchschreiten des Herold-Centers beobachtet. Die schlohweißen langen Haare gedeckelt von einer samtenen Kappe, der Oberkörper steckt in einer roten Samtjacke mit geschlitzten Ärmeln, an den Beinen eine rot-braun-gestreifte Filzhose und schließlich an den Füßen braune, spitz zulaufende Lederstiefel, wobei Faget um die rechte Fessel einen Schellenkranz trägt, der jeden zweiten seiner Schritte mit einem rhythmischen Klingeln unterstreicht. Und während er unter dem linken Arm einen Dudelsack geklemmt hält, spricht er wie selbstverständlich in das Smartphone, das er mit der Rechten ans Ohr hält. "Fogelvreie" sind Zeitenwandler, irgendwo verloren zwischen Mittelalter und dem 21. Jahrhundert.

Seltsam entrückt und garantiert frei von neuzeitlichem Tand

Natürlich schauen die Leute mit ihren Einkaufstüten in Händen, manche bleiben stehen. Viel erstaunlicher aber ist, dass ebenso viele überhaupt keine Notiz von diesem seltsamen Anblick nehmen. Johannes F. Faget scheint schon ein Stück vertraute Kulisse in Norderstedt geworden zu sein. Wer ihn hier sieht, denkt: Muss wohl Mittelalterfest im Willy-Brandt-Park sein.

An diesem Wochenende wird Faget mit seinem etwa 160 Leute umfassenden Tross aus Handwerkern und Krämern, Hökerern, Gauklern und Spielleuten, aus Rittern, Knappen und Schwertkämpfern anrücken (siehe Programm unten). Und wenn es nicht wieder Hunde und Katzen regnet, so wie im letzten Jahr, dann wird das Mittelalterfest wieder eine der beliebtesten Veranstaltungen des Jahres.

Denn ganz anders als bei dem seltsam entrückt wirkenden Auftritt des obersten "Fogelvreien" im Herold-Center, ist auf der Willy-Brandt-Wiese alles garantiert frei von neuzeitlichem Tand, hier wird ein dahergelaufener Biertrinker in korrektem Lutherdeutsch "Recke" tituliert, hier tragen alle Bewohner die Kleidung ihrer Zeit, und die Ritter wirken bei ihren Exercicien der Geschicklichkeiten oder beim edlen Gestech, hoch zu Pferd und mit der Lanze, so stattlich, dass sogar den holden Maiden der Neuzeit die Contenance flöten geht.

Johannes F. Faget hat umgesetzt, was er sich 1988 vorgenommen at. Als er es leid war, in die Rolle des Herolds und Spielmanns "Fogelvrei" zu schlüpfen und sich dann zwischen Pommes-Buden und Bierschwemmen auf Volksfesten zum mittelalterlichen Affen zu machen. Er wollte kein mittelalterlicher Troll sein, sondern ein augenzwinkerndes Stück Mittelalterkunst im Hier und Jetzt. Er träumte von der "in sich geschlossenen mittelalterlichen Plattform als Aufführungspodium für mittelalterliche Künstler".

Absurderweise sollte sein Traum ausgerechnet in einem Land verwirklicht werden, von dem der gewöhnliche Recke im Mittelalter noch nicht mal einen blassen Dunst hatte: Japan. Im Land der aufgehenden Sonne feierten Faget und seine "Fogelvreien" Premiere auf einem künstlichen deutschen Marktsplatz, der zum Mittelaltermarkt verzaubert wurde. Zwei Monate probte die Truppe in Nippon, was sie später in Deutschland perfektionieren sollte.

Die "Fogelvreien" haben auch den Barock oder die Piratennummer drauf

Seit 1991 stehen die Strukturen für das reisende Mittelalterspektakel, das zwischen April und Oktober an 30 Orten im ganzen Bundesgebiet die unterschiedlichsten Festivitäten mit Mittelaltercharme bedient. Neben dem Kern aus 160 Akteuren und etwa 35 Ständen, kommen bei Großveranstaltungen bis zu 60 weitere Standbetreiber und bis zu 500 weitere Mittelalter-Gestalten dazu. Die "Fogelvreien" können nicht nur Mittelalter, auch die Renaissance, den Barock haben sie drauf, ebenso die Wikinger- oder die Piratennummer.

Basisdemokratisch ist die Organisation. Zweimal jährlich diskutieren alle Akteure im Plenum über den Weg, den die "Fogelvreien" beschreiten sollen. In Kursen wird Theaterspiel und Sprache geprobt, es werden neue Szenen entwickelt. Die Standbetreiber sind allesamt eigenständige Unternehmer, meistens Gesellen oder Meister ihres Gewerkes. Sie bringen ihren Stand und ihre Konzeption in den Markt ein, müssen sich aber nicht um die Termine und das Marketing kümmern. Das erledigen Johannes F. Faget und sein Team.

Die Puristen unter den Zeitenwandlern unken, dies alles sei doch ein recht marktwirtschaftlich und rein kommerzielles Spektakel. Die "Fogelvreien" sind da ein Stück weiter in der Denke. Herold Faget hat sich den Satz des eidgenössischen Kunsthistorikers Jacob Burckhardt zu eigen gemacht. "Unser Leben (heute) ist Geschäft, das damalige (im Mittelalter) war Dasein." Die "Fogelvreien" versuchten also, so Faget, mit mittelalterlichem Dasein in der heutigen Welt Geschäfte zu machen - und damit als Gaukler, Marketender, Ritter oder Schwertkämpfer zwischen Pommes, Techno und Smartphone selbstbestimmt zu überleben.