Internatsleiterin Annette von Rantzau verfolgt in ihrer Schule ein reformpädagogisches Konzept

Rohlstorf. Die Klasse ist überschaubar. Sören, Alexander, Marcel und Björn sitzen gemeinsam an einem Tisch und lesen englische Bücher. Drei weitere Schüler sitzen an den Nebentischen, im Raum nebenan hören sich zwei Mädchen in englische Texte ein. Gymnasiallehrer Cord Gudegast greift gelegentlich hilfreich ein, hält sich ansonsten aber eher im Hintergrund. Lesekompetenz und Hörverstehen steht auf dem Lehrplan dieser Schüler, die sich auf den Realschulabschluss vorbereiten. Es stehen die letzten Vorbereitungen für die Prüfung an. Schulalltag im Internat Schloss Rohlstorf: Jugendliche, die nicht mehr schulpflichtig sind, werden hier in einem einjährigen Kursus auf die Prüfungen für den externen Realschulabschluss vorbereitet. Die 60 Schüler leben in dem repräsentativen Herrenhaus, besuchen aber staatliche Schulen in der Umgebung. Das soll sich bald ändern: Das Internat am Wardersee nordöstlich von Bad Segeberg bekommt noch in diesem Jahr eine eigene Schule. Vom nächsten Schuljahr an gibt es die Annette-von-Rantzau-Gemeinschaftsschule, in der Schüler jahrgangsübergreifend unterrichtet werden. Eröffnet werden die Möglichkeiten für alle Schulabschlüsse. Vergeben wird der Hauptschul- und der Realschulabschluss sowie die Übergangsberechtigung in die gymnasiale Oberstufe.

Die Rohlstorfer Internatsschüler leben in einer angenehmen Umgebung: Das Herrenhaus im Rücken, blicken sie direkt auf den idyllisch gelegenen Wardersee, dessen Wasser nur wenige Meter entfernt ans Ufer schwappt. Das Schloss Rohlstorf ist allerdings keine Eliteschule für Hochbegabte oder für Kinder aus reichen Elternhäusern. Natürlich hat es seinen Preis, wenn die Tochter oder der Sohn hier einziehen, aber Internatsleiterin Annette von Rantzau hat einen ganz eigenen pädagogischen Blickwinkel: Hier sollen Kinder aus allen sozialen Schichten einen angemessenen Bildungsabschluss machen können. "Wir mögen dich so, wie du bist", lautet das pädagogische Credo der ausgebildeten Gymnasiallehrerin aus Hamburg, die 2002 den insolventen Trägerverein des 1960 gegründeten Internats und damit die Gesamtleitung übernommen hat. Dieser Grundsatz, über den die Ehefrau des Hamburger Reeders Heinrich von Rantzau auch ein Buch geschrieben hat, wird im Internat Schloss Rohlstorf konsequent umgesetzt.

Bisher haben die Schüler der Klassenstufen fünf bis zehn staatliche Schulen in der Umgebung besucht, mit der Einführung der privaten Gesamtschule im Internat Schloss Rohlstorf erfüllt sich Annette von Rantzau auch einen eigenen Traum, weil sie die Möglichkeit sieht, ihr eigenes reformpädagogisches Konzept zu verwirklichen. "Wir wollen eine Pädagogik, die den ganzen Menschen umfasst."

Nach den Sommerferien sollen in einem ehemaligen landwirtschaftlichen Gebäude direkt neben dem Schloss 54 Kinder in den Klassenstufen fünf bis zehn unterrichtet werden. Unterrichtet wird in drei Klassenverbänden, wobei übergreifend immer zwei Jahrgangsstufen zusammengefasst werden. Zu jedem Lehrer wird sich ein Lernbegleiter - das sind Diplom- und Heilpädagogen - hinzugesellen. Sie stehen als Mediatoren zwischen Schülern und Lehrern und begleiten die Schüler den ganzen Tag über. Sie wollen menschliche Probleme erkennen und lösen - wenn es sein muss, schon beim gemeinsamen Frühstück oder nach dem Unterricht.

Annette von Rantzau und der pädagogische Leiter Michael Roelofs verfolgen zusammen mit dem Schulleiter Lutz Richert ein ganzheitliches Konzept, bei dem den Kindern der Unterrichtsstoff nicht häppchenweise in einzelnen Stunden verabreicht wird. "Wir definieren das Lernen anders als in staatlichen Schulen", sagt Lutz Richert, der auch für die Schulentwicklung zuständig ist. Er unterrichtet jetzt noch an der Integrierten Gesamtschule Bad Oldesloe, wechselt aber im Sommer vollständig zum Rohlstorfer Internat und gibt seinen sicheren Beamtenstatus dafür auf. Das bedeutet: Es wird jahrgangsübergreifend und rhythmisiert unterrichtet - Phasen des Lernens und der Entspannung sollen sinnvoll aufeinander abgestimmt sein. Lernzeiten, Projekte und Arbeiten in Werkstätten sollen sich abwechseln und ergänzen. Die Schüler sollen an bestimmten Projekten und Themen mehr als nur eine Stunde arbeiten, sondern nach Möglichkeit den ganzen Tag über und dabei aktive Verknüpfungen zu aktuellen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens finden.

Für Lutz Richert ist es besonders spannend, den Unterschied zum staatlichen Schulsystem herauszuarbeiten: Er verfolgt das Konzept mit Leidenschaft. Dazu gehört auch, dass die älteren Schüler in den jahrgangsübergreifenden Klassen ihren jüngeren Mitschülern Hilfen geben. "Die Kinder sozialisieren sich selbst", sagt Internatsleiterin Annette von Rantzau, die auch Namensgeberin der Internat-Gemeinschaftsschule ist. "Wir wollen beweisen, dass diese Art des Lernens nachhaltig ist." Um das Konzept weiterzuentwickeln, besteht enger Kontakt zu Universitäten.

39 Schüler werden im Internat leben, 15 kommen von außerhalb. Das Konzept für die neue Gemeinschaftsschule hat bereits reges Interesse hervorgerufen. Ein erster Vorstellungstermin war von Eltern gut besucht. "Wir sind offen für Kinder aus alles sozialen Schichten", sagt Annette von Rantzau.