Die Polizeibeamten werden mit einem kleinen Heftchen auf den Castor-Einsatz vorbereitet. Bei Bedarf gibt es Seelsorge per Kurzmitteilung.

Gorleben. Der Protest, vor allem der kreative, unvorhersehbare und somit wirkungsvolle, will vorbereitet sein: Bereits seit Monaten machen Castor-Gegner bundesweit mobil. Im Internet, via Facebook und Twitter, in Blockadefibeln und auf zahllosen Aktionstrainings in nahezu jeder größeren deutschen Stadt bereiten sie ihren zivilen Ungehorsam vor. Sie rufen zum "Schottern" der Bahngleise auf. Sie proben verkettete Sitzblockaden und gemeinsames Einbetonieren von Gliedmaßen auf den Gleisen und Straßen, auf denen die erwarteten elf Behälter aus Frankreich anrollen werden. 30.000 protestbereite Atomgegner werden im Wendland erwartet. Nicht wenige von ihnen sind bereit, die Grenzen des Erlaubten zu überschreiten.

Ihnen gegenüber: 20.000 Polizeibeamte aus ganz Deutschland. Und natürlich bereiten auch sie sich auf das Wochenende vor - wenngleich auf wesentlich altmodischere Art. "Nur für den Dienstgebrauch" haben die Einsatzführer von Bundes- und Landespolizei ein Heftchen im Format DIN A6 drucken lassen. Es liegt dem Hamburger Abendblatt vor. Enthalten ist "Wichtiges, Notwendiges, Informatives" rund um den Castor, das Wendland, seine Einwohner und Besucher - und Tipps für biblischen Beistand.

Die Polizisten sind in einer wenig angenehmen Lage: Sie haben den sicheren Transport der Castoren in das atomare Zwischenlager zu gewährleisten, gleichzeitig müssen sie Sorge dafür tragen, dass Castor-Gegner ihr Recht auf die Teilnahme an friedlichen Veranstaltungen ausüben können - und das alles mit der Maßgabe, dass die Anwohner nicht über die Maßen belästigt werden. "Polizeiliches Handeln und Auftreten sind an dem langfristigen Ziel Rückkehr zur Normalität in der Region auszurichten", schreiben die Polizeichefs. Und in schönstem Beamtendeutsch schieben sie nach: "Die derzeitige Lagebeurteilung lässt eine erhebliche Steigerung des Protest- und Gewaltpotenzials und damit verbunden eine starke Medienpräsenz erwarten (,Renaissance der Anti-Atomkraft-Bewegung'). Die Gesamtlage verlangt daher von allen Führungs- und Einsatzkräften ein stark ausgeprägtes Differenzierungsvermögen und die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit." Mit anderen Worten: Lasst es ruhig angehen, solange der Protest friedlich bleibt und ein Weiterrollen der Castoren gewährleistet werden kann.

Das versuchen die Aktivisten traditionell mit dem Einbetonieren von Armen und Beinen in Klötze und Ankettaktionen auf Straßen und Schienen zu verhindern. Schon gestern entdeckte die Polizei im Wald bei Dannenberg vergrabene Betonpyramiden, die am Sonntag per Traktor auf die Straße gezogen werden sollten. Und die Löcher zum Anketten enthielten. Zur Erklärung dieser Protestform schreibt die Polizeispitze: "Jüngste Erkenntnisse zeigen, dass die Chance einer Selbstlösung ausgeschlossen wird. Die Angeketteten nehmen hierbei ihre Eigengefährdung bewusst in Kauf und vertrauen dem Können polizeilicher Spezialkräfte." Und später: "Aufgrund verschiedener Blockadetechniken ist es zum Teil unmöglich vorherzusagen, wie die angeketteten Gliedmaßen im Beton verlaufen." Man solle auf keinen Fall versuchen, die Personen gewaltsam zu lösen, rät - äußerst fürsorglich - die Einsatzfibel. Unter der Rubrik "Rechtliche Hinweise" heißt es weiter: "Das Durchsuchen und Fesseln von Personen ist auf das erforderliche Maß zu beschränken." Auch für den Selbstschutz hat das Heft Tipps parat: Weil nicht nur der Castor auf den Schienen rollt, sondern "jederzeit auch mit außerplanmäßigem Bahnverkehr gerechnet werden" müsse, sollten die Beamten "niemals im Gleis, sondern auf den Randwegen!" gehen. Um eine unnötige Eskalation zu vermeiden, werden die Beamten gebeten, während des konfrontativen Einsatzes private Handys und Fotoapparate nicht zu benutzen.

Und selbst das Allermenschlichste ist streng reglementiert: "Zur Entsorgung sind die zur Verfügung gestellten Toilettenstandorte zu nutzen. Die Nutzung ziviler Toiletten ist auf das Mindestmaß zu beschränken", rät die Einsatzfibel. Beamten, denen das alles zu bunt wird, steht immerhin ein vollkommen neuartiger Service der katholischen Kirche offen: Bei der Aktion "Polizeiseelsorge mit 160" geht ihnen nach vorheriger Registrierung allmorgendlich ein "Wort zum Tag" mit 160 Zeichen per SMS zu. Die geistliche Kurzmitteilung soll den Beamten helfen, "mehr als den Einsatzalltag vor Augen" zu haben.