Vor allem im Raum Lüneburg wird vor dem Prozessionsspinner gewarnt. Die Insekten können Hautreizungen und sogar Asthma auslösen.

Lüneburg/Kiel. Fingerförmig und schwarzbraun sind ihre Körper, auf denen aus rötlichen Warzen bis zu eine Million helle Haare sprießen. So sehen sie aus, die Raupen des Eichenprozessionsspinners, die zurzeit an einigen Orten in Norddeutschland massenhaft auftreten. Dass die eigentlich eher in Süddeutschland heimischen Tiere optisch wohl nicht zu den schönsten zählen, ist die eine Sache. Die andere: Sie sind gefährlich. Denn ihre Haare können beim Menschen allergische Reaktionen auslösen. Diese reichen von Hautausschlägen bis hin zu Reizungen an Mund und Nasenschleimhaut, mitunter auch zu Bronchitis oder Asthma.

Der Schwerpunkt des norddeutschen Raupen-Vorkommens liegt im Landkreis Lüneburg. Gut ein Fünftel der Fläche dort ist betroffen. Im Gebiet um Bleckede, Dahlenburg und Göhrde hat der kreiseigene Betrieb für Straßenbau- und -unterhaltung (SBU) neongelbe Warnschilder aufgestellt. Denn jetzt beginnt die Zeit, in der sich die Raupen verpuppen und ihre Härchen in kleinen Gespinstnestern zurücklassen. Mit dem Wind gelangen diese Härchen in die Luft und dadurch womöglich auch auf Menschenhaut. Der Lüneburger Hautarzt Reinhard Knöll verschreibt gegen Allergien eine kortisonhaltige Salbe. "Man muss Geduld haben, erst nach mehreren Wochen ist der Ausschlag weg", sagt Knöll.

Den Raupen Einhalt zu gebieten scheint schwierig: Laut Niedersächsischer Forstwirtschaftlicher Versuchsanstalt gelingt es natürlichen Feinden wie Vögeln und Eidechsen kaum noch, die Raupen aufzufressen, weil es einfach zu viele sind. Ein Insektizid hätte bereits im April aufgebracht werden müssen, jetzt wirke es nicht mehr. Jetzt werden befallene Eichen mit Industriestaubsaugern gesäubert, allerdings nur in Wohngebieten oder bei Kindergärten. Das Problem ist damit nicht gelöst: Die Nesselhärchen können noch bis zu acht Jahre lang wirksam sein.

Abgesehen vom Massenvorkommen im Raum Lüneburg trete der Eichenprozessionsspinner im übrigen Niedersachsen nur vereinzelt auf, sagt Stefan Fenner, Sprecher des Landesbetrieb Landesforsten. Man beobachte den Schmetterling angesichts seiner Ausbreitung in den vergangenen drei Jahren aber genau. Eine Ursache für die Häufung im Bereich Lüneburg konnte bisher nicht ausgemacht werden.

Wenn der Eichenprozessionsspinner massenhaft vorkommt, schädigen die Krabbler außerdem Bäume durch den Kahlfraß. Kranke Wälder können für die Landeskasse teuer werden. Rund eine Million Hektar Waldfläche gibt es in Niedersachsen, schätzungsweise zehn Prozent davon sind Eichen. Eichenholz erzielt Preise von rund 200 Euro je Tonne, Spitzenqualitäten erzielen noch höhere Preise. "Deshalb", sagt Stefan Fenner, "sind wir in Sorge und müssen sogar Bekämpfungsmaßnahmen prüfen, die wir in der naturnahen Forstwirtschaft eigentlich vermeiden wollen." Es gebe etwa Insektizide, die als Raupen-Enthäutungshemmer eingesetzt werden könnten.

Auch Hamburg ist erstmals von der Raupen-Plage betroffen, allerdings nur gering: "Uns sind bislang zwölf befallene Eichen im Stadtteil Winterhude bekannt", sagt Helma Krstanoski, Sprecherin der Wirtschaftsbehörde.

Zur Bekämpfung der Raupen habe das zuständige Bezirksamt Nord eine Fachfirma beauftragt, die die Nester abgesaugt und vernichtet habe. Weitere Funde habe es in Hamburg nicht gegeben. Die Parks und Wälder der Hansestadt würden jedoch zurzeit intensiv auf Raupenbefall kontrolliert. Und was können Spaziergänger tun, wenn sie Raupen des Eichenprozessionsspinners in Parks oder öffentlichen Grünanlagen entdecken? "Am besten wenden sie sich an das jeweilige Bezirksamt", rät Helma Krstanoski. Falls Leute die Raupen im eigenen Garten fänden, sollten sie sie schnellstmöglich von Experten entfernen lassen. Krstanoski: "Das Auftreten sollte sofort dem zuständigen Bezirksamt gemeldet werden. Das Amt nennt Entsorgungsfirmen." Auch in Schleswig-Holstein ist bislang nur ein Fall an einem Baum in Gudow bekannt. Christian Seyfert, Sprecher des Kieler Landwirtschaftsministeriums, geht mit Blick auf den Klimawandel aber von weiteren Vorkommen aus: "Langfristig werden wir uns darauf einstellen müssen, dass der Eichenprozessionsspinner versucht, sich bei uns zu verbreiten." In diesem Punkt sind sich die Experten uneinig: Das Auftreten des Tieres in Norddeutschland sei nichts Neues, sagt Diplom-Biologe Kai Schütte von der Universität Hamburg. "Diese Art ist bereits Anfang der 1950er-Jahre im Großraum Hamburg dokumentiert worden." Insofern sei schwerlich die Klimaerwärmung der Grund für das Massenvorkommen. Dennoch spiele das Wetter eine Rolle: "Das trocken-warme Frühjahr hat das Raupenschlüpfen begünstigt." Nun verlangsame die feucht-kühle Witterung die Entwicklung der Raupen hin zum fertigen Schmetterling. Er ist ein eher unauffälliges, graues Exemplar in der Insektenwelt.

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