Innenminister Uwe Schünemann (CDU) verschärft Polizeikontrollen gegen die Banden und prüft Verbot einzelner Ortsgruppen.

Hannover. Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) ist alarmiert: Binnen weniger als vier Jahren hat sich die Zahl der häufig kriminellen Mitglieder der Rockerklubs in Niedersachsen von 290 auf deutlich über 500 erhöht. Bei der Vorstellung des Lageberichts zur Organisierten Kriminalität (OK) in Niedersachsen drehte sich gestern in Hannover fast alles darum, was der Minister "das Phänomen der Rockerkriminalität" nannte.

Es geht vor allem um die vier großen Rockerklubs Hells Angels MC, Bandidos MC, Outlaws MC und Gremium MC sowie die dazugehörigen Unterorganisationen, meist Supporter genannt. Den Klubs geht es laut Schünemann bei der Gründung von neuen Chaptern oder Chartern immer um das Ziel, sich in den jeweiligen Orten und Regionen eigene Einflussbereiche zu sichern, um dann dort ungestört ihre häufig illegalen Geschäfte zu betreiben, etwa im Rotlichtmilieu: "Sämtliche Gangs versuchen, Territorien zu beherrschen."

Im vergangenen Jahr machte die niedersächsische Rockerszene Schlagzeilen, als in Hannover die Chefs von Hells Angels und Bandidos den sogenannten "Friedensschluss von Hannover" unterzeichneten. In den Räumen des Prominentenanwalts Götz von Fromberg, zu dessen Kanzlei damals noch "in Bürogemeinschaft" Altbundeskanzler Gerhard Schröder gehörte, versprachen sich die Rockerklubs schriftlich, zukünftig Distanz zueinander zu halten: "Hells Angels gehen nicht in die Städte der Bandidos und umgekehrt." Nach Einschätzung von Schünemann aber blieb das Medienspektakel aus dem Mai 2010 weitgehend wirkungslos: "An dem konfliktträchtigen Expansionsbestrebungen hat das offenkundig wenig geändert".

Der Chef des hannoverschen Klubs war damals und ist auch jetzt Frank Hanebuth, der wohl mächtigste deutsche Rockerchef. Er führt nach Einschätzung des Ministers das personell stärkste Charter in ganz Deutschland: "Das Hells Angels MC Hannover nimmt damit eine Führungsrolle sowohl in der niedersächsischen wie der deutschen MC-Landschaft ein." Ablesen kann man das auch an der vom Schünemann präsentierten Karte, auf der Hannover regelrecht umgeben ist von Supporterklubs der Hells Angels. Hier wurden die meisten der vielen neuen Mitglieder der Szene aktiv. Aber neue Klubs entstehen laut Schünemann auch in anderen Regionen: "Es liegen Hinweise vor, dass auch der Rockerklub der Mongols ein erstes Chapter in Niedersachsen im Bereich Stade gegründet hat."

Nachdem es in der Vergangenheit Kritik gegeben hatte, die Polizei in Hannover kooperiere im Rotlichtviertel am Steintor regelrecht mit den Rockern, die dort oft als Türsteher arbeiten und deren Chef Hanebuth dort mehrere Unternehmen betreibt, gibt es jetzt vor allem an Wochenenden intensive Kontrollen bei Polizeirazzien und jeweils ausführliche Bilanzen der zuständigen Polizeidirektion. Minister Schünemann wies gestern auf diese verstärkten Kontrollen ausdrücklich hin.

Insgesamt hat die Polizei 2010 drei Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Organisierten Kriminalität im Rockerbereich geführt, in Osnabrück wurden mehrere Mitglieder solcher Klubs zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Ob er nach dem Vorbild von Schleswig-Holstein oder Bremen versuchen wird, einzelne Chapter zu verbieten, ließ der Minister offen: "Sie können aber davon ausgehen, dass wir alles prüfen." Ziel der bundesweiten Koordination sei es, "hier gezielt und geschlossen vorzugehen". Basis aller Aktivitäten sei die im vergangenen Jahr von Bund und Ländern gemeinsam entwickelte Rahmenkonzeption "Bekämpfungsstrategie Rockerkriminalität".

Aktiv sind die Rockergangs laut Schünemann "sehr oft in typischen Deliktsfeldern der Organisierten Kriminalität". Er zählte neben dem Rotlichtmilieu ausdrücklich auch Gewaltdelikte, Handel mit Drogen sowie Waffenhandel und Waffenschmuggel auf: "Bei polizeilichen Durchsuchungsmaßnahmen werden inzwischen neben gefährlichen Gegenständen regelmäßig Schusswaffen sichergestellt." 2010 sei auch eine Maschinenpistole dabei gewesen.

Auch insgesamt hat die Organisierte Kriminalität in Niedersachsen zugenommen. Laut Schünemann gab es im vergangenen Jahr 67 Ermittlungskomplexe (2009: 55). Über 40 Prozent der Verfahren entfielen auf Rauschgifthandel, an zweiter Stelle lagen wie in den Vorjahren mit zwölf Prozent Steuer- und Zolldelikte. Dahinter verbirgt sich vor allem der Zigarettenschmuggel. Den Schaden durch OK schätzt Schünemann auf 35 Millionen Euro, die Ermittlungen richteten sich gegen insgesamt 969 Tatverdächtige aus 58 Staaten. 464 Verdächtige waren deutsche Staatsbürger. Darunter waren wiederum 130 Personen, die einen Migrationshintergrund hatten, meist aus Russland, der Türkei und dem Libanon.