Ronnie war Zuhälter und Mitglied der Hells Angels. Dann stieg er aus, gezwungenermaßen. Jetzt rechnet er mit dem kriminellen System ab.

Hamburg. Ronnies Arme sind schlanker geworden, seit er die Aufbaupräparate nicht mehr nimmt. Die T-Shirts sitzen nicht mehr ganz so stramm über der Brust. Zum Trainieren hat er keinen Nerv. Er raucht Kette, mal bis zum Filter, mal nur ein paar Züge, bevor der nervöse Zeigefinger die Kippe ausdrückt.

Ronnie, der Ex-Zuhälter und Ex-Hells-Angel, ist im Stress. Sichtlich und ernsthaft. Ständig fürchtet er, verfolgt zu werden. Dazu kommt Angst vorm Knast. Und vor den früheren Kumpels. Es gab weiß Gott schönere Zeiten in seinem Leben: Mehr als drei Jahre lang war Ronnie, dessen richtigen Namen wir nicht nennen, Mitglied der berüchtigsten Rockergang der Welt. Der Aussteiger rät auch uns, den Abendblatt-Reportern, aus Sichheitsgründen das Gleiche. Die Angels sind zwar seit 1983 in Hamburg verboten, aber schon länger gibt es eine neue "Charter", die sich Harbour City nennt. Über Art und Umfang ihres Treibens kursieren verschiedene Thesen, vor allem eine: Sie beherrschten den Kiez. Ja, es gäbe Aktivitäten und Entwicklungen, aber man habe die Lage im Blick, sagt dazu die Polizei. Dass sie diese Lage auch unter Kontrolle hat, sagt die Polizei nicht.

Ronnie ist einer der ganz wenigen, die sich entschlossen haben auszusteigen. Und zu reden, was für ihn sehr gefährlich werden kann. "In Hamburg können wir uns nicht treffen", hat Ronnie am Telefon gesagt, "kommt morgen zum Bahnhof in Celle. Ihr erkennt mich am schwarzen Baseballcap. Aber ihr arbeitet nicht mit der Polizei zusammen, oder?" Wer in Celle dann nicht auftaucht, ist Ronnie. Ein paar Tage später, als dann ein Treffen in Celle doch noch klappt, erzählt er, dass die Polizei sein Telefon abgehört und ihn abgegriffen habe, damit er nicht mit Journalisten redet. Schwarze Baseballkappe, Dreitagebart, dunkle Augen, die Finger zittern. Vor uns sitzt ein Mann, der selbst nicht genau sagen kann, warum er seine Geschichte erzählen will. Nur so viel: "Ich will, dass die Leute wissen, dass das ein Scheißverein ist." Schon die Art und Weise, wie alles angefangen habe. "Es ist ja nicht so, dass ich den Kontakt gesucht hätte", sagt Ronnie, "vielmehr kamen die Angels auf mich zu, nach einer Auseinandersetzung mit einem anderen Zuhälter." Ronnie hatte damals ein paar Mädchen laufen, und der andere, ein Angel, hatte versucht, eine der Prostituierten abzuwerben, ohne Ablöse. Ein absolutes No go unter Luden.

Ronnie, den sie wegen seiner dunklen Augen auf dem Kiez den "Türken" nannten, regelte den Zwist auf rustikale Art. Kurz darauf bekam er Besuch von Pit K., einem der ranghöchsten "81er" (so genannt nach der Folge der Buchstaben H und A für Hells Angels im Alphabet). "Ich dachte, jetzt gibt's auf die Ohren, weil ich einen von ihnen rundgemacht hatte. Stattdessen sagte er: ,Alter, das war nicht schlecht. Du bist geradeaus, du kannst bei uns einsteigen.'" Ronnie fühlte sich geehrt. Er wurde zunächst "Hangaround" - ein Sympathisant, der bei den Angels mitlaufen durfte. Später erklomm er als "Prospect" (Anwärter) die nächste Stufe auf der Leiter zum vollwertigen Höllenengel, zum "Full Member".

Plötzlich stockt das Gespräch in der Celler Bahnhofskneipe. Zwei Männer setzen sich an den Nebentisch. Ronnie bedeutet uns, mit ihm den Laden zu verlassen. "Das waren Bullen. Siehst du doch sofort, wie die sich so auffällig unauffällig verhalten haben", sagt er draußen. Da ist sie wieder, seine Angst, verfolgt zu werden.

Pit K. sei es dann gewesen, der Ronnie in den München-Plan einweihte, erzählt er beim nächsten Treffen. "Er meinte, dass es da richtig Geld zu verdienen gebe." In Hamburg werde das Geschäft immer schwieriger, fand Ronnie, für den bis zu sieben Frauen gleichzeitig angeschafft haben. 2008 machte sich ein Tross Hamburger Hells Angels auf den Weg an die Isar. "Wir haben einen Laden an der Landsberger Straße übernommen", erinnert sich Ronnie an diese für ihn goldene Zeit, die nun begann: "Die Münchner waren unsere Umgangsformen nicht gewohnt", sagt er. Heißt: Die Hamburger fielen ein wie eine Rotte betrunkener Wikinger. Ihrer Urgewalt hatten die Residenten nichts entgegenzusetzen. Bald darauf hatte Ronnie drei Wohnungen, drei Autos und eine schwere Harley-Davidson, Modell Knight Rider - ein Bike, auf dem der Fahrer Arme und Beine extrem weit nach vorn streckt.

"München war das Paradies", sagt Ronnie lächelnd, "da geht das Gramm Koks für 115 Euro über den Tisch. In Hamburg kriegst du höchstens 50 dafür, und Frauen kosten auch fast das Doppelte." In den Bordellen rund um den Straßenstrich an der Süderstraße hätten sie die Mädchen "eingeritten" - ihren Willen gebrochen für die Zukunft als Prostituierte. "Nach einem halben Jahr haben wir sie dann nach München gebracht. Wenn Oktoberfest ist oder bei den Messen geht da richtig was ab. Je mehr Frauen du aufgestellt hast, desto mehr Gewinn. So einfach ist das. Natürlich wird alles auch komplizierter."

Fast gerät Ronnie ins Schwärmen: "Drogen, Amphetamine, Waffen - wir hatten alles. Wie in Hamburg, nur viel einträglicher, denn die Scheichs kamen auch, die haben dann richtig gezahlt. Und wir haben die Türsteherszene erobert, über Nacht. Das ist ja das Entscheidende, wenn du richtig Geld machen willst, denn die Tür ist die Macht."

Eine Woche später wollen wir uns wieder treffen, diesmal in Hamburg. Wir bieten an, ihn zum Bahnhof zurückzufahren. "Seid ihr mit einem Privatwagen da?", fragt er. Wir nicken. "Dann nicht. Über euer Kennzeichen kriegen die sofort eure Privatadresse." Er meint seine ehemaligen Kumpels mit den Lederkutten.

Rund um den Hans-Albers-Platz, meint Ronnie, gebe es keinen Laden, in dem nicht mindestens ein "Rot-Weißer" (so genannt nach den Vereinsfarben) das Sagen hat. Allein auf dem Kiez sei der Klub derzeit mit 50 bis 60 Mann aktiv. "Es ist ja nicht so, dass sämtliche Angels ständig zusammen abhängen", sagt er, "jede Clique hat ihren Treffpunkt, ihre Spezialitäten." Seine Jungs hatten die jungen Frauen, die spielten reichlich Geld ein. "Die soliden Mitglieder zahlen 15 Prozent ihres Monatslohns in die Vereinskasse, die Kriminellen 25 Prozent." Dass der Verein seinen Mitgliedern keine Rechenschaft über die Verwendung der Gelder schuldet, versteht sich von selbst. "Die Chefs stecken sich das Geld schön in die eigene Tasche", glaubt der Ex-Angel. "Da machen sich ein paar Leute die Taschen voll." Natürlich gebe es auch so etwas wie Solidarität. Die man aber nicht mit Biker-Romantik verwechseln solle. Ronnie: "Wenn einer im Knast ist und Kaution braucht, dann wird gesammelt. Jeder gibt 1500 Euro, und der Kumpel ist wieder draußen. Das ist Ehrensache im Klub. Und ziemlich praktisch"

Der Klub: Ronnie und seine Jungs trafen sich im Good Fellas in Hammerbrook. Das lag nahe, denn Ronnie gehörte zur Macht auf dem Strich an der Süderstraße. Pit K. betrieb das Bordell am Hammer Deich, auch nicht allzu weit entfernt. Bei einer Razzia entdeckte die Polizei hier zahlreiche Waffen, wohl aus dem Besitz des Betreibers. Dennoch: bloß nicht auf dicke Hose machen, das sei, so Ronnie, die Maxime der Hamburger Hells Angels. Aufmärsche wie in Hannover oder München, Harley-Paraden und provokative Wagenpark-Präsentationen wie in Duisburg oder Kiel gibt es an der Elbe seit dem Verbot der Vereinigung 1983 nicht mehr. Kutten seien ohnehin verboten.

Gleichwohl kauften viele Angels in Hamburg ein, sagt Ronnie. Denn der Harley-Händler ihres Vertrauens vermittelt auch schon mal Wohnraum, Mercedes-Limousinen gebe es gegen Bares, jedenfalls wenn man weiß, in welcher Niederlassung und bei wem. Der Mann bei BMW habe wegen solcher Schwarzgeschäfte leider seinen Job verloren. "Wir haben immer darauf geachtet, die Polizei nicht offen zu provozieren. Die Karren haben wir schön um die Ecke geparkt, wenn wir irgendwo einmarschiert sind." Er gerät kurz ins Schwärmen: "Wir hatten einen Kumpel, der hat uns schwedische Uno-Führerscheine besorgt. Die sind wie Diplomatenpässe. Damit darfst du alles machen. Das war total geil. Wir auf den Harleys und alle mit Uno-Führerschein."

Fast vier Jahre war Ronnie ein Rot-Weißer. Fünfmal habe er "Stiche gekriegt", Verletzungen am Oberkörper, im Gesicht, am Arm. "Doch das war nicht weiter wild", behauptet er. Viel schlimmer sei, dass er sich bald vor Gericht wird verantworten müssen. Die Staatsanwaltschaft Augsburg bastelt noch an ihrer Mammutanklage, unter anderem wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung, des Menschenhandels, der ausbeuterischen Zuhälterei, Körperverletzung und diversen anderen Straftatbeständen. Angeklagt werden voraussichtlich zwölf Hells Angels aus Hamburg und zehn aus München.

"Ich bin mit in diesem Großverfahren angeklagt. Das wird eine große Nummer. Ich hoffe aber noch, dass mein Fall rausgelöst und in Hamburg verhandelt wird", sagt Ronnie. Das allerdings dürfte kaum passieren. Unter anderem geht es um die Auseinandersetzung mit einem Duisburger Großzuhälter. "Der ist clever, exzellent vernetzt. Da gibt es diesen Politiker, der ist überall bekannt. Er ist Stammgast. Wenn der kommt, werden Straßen gesperrt, damit keiner den Mann sieht", erzählt Ronnie. Michi, sein Münchner Chef, habe gemeinsam mit Pit K. eine Allianz gegen den mächtigen Ruhrpott-Zuhälter geschmiedet. Ein Fehler, die Sache flog auf. "Die Leute vom Duisburger gelten als besonders brutal", sagt Ronnie. "Es heißt, er habe vier Jungs aufschlitzen lassen. Der holt sich die Auftragsmörder aus Ex-Jugoslawien." Pit K. kam vergleichsweise glimpflich davon: mit einem Loch in der Hand, verursacht durch eine Neun-Millimeter. Wochenlang hätten sie danach noch Wache geschoben vor Pits Anwesen in ländlicher Idylle. "Der Streit war ja nicht ausgestanden. Und dass er Waffen hortete, ist daher auch kein Wunder", sagt Ronnie." Wegen des Waffenarsenals sitzt Pit K. nun in relativer Sicherheit im Augsburger Untersuchungsgefängnis, ebenso laufen Ermittlungen gegen ihn in Hamburg. Auch "Michi" sitzt in U-Haft. Und auf ihn selbst, sagt Ronnie, sei ein Kopfgeld ausgesetzt worden. Sogar die Polizei rate ihm, den Mund zu halten.

Wahrscheinlich kommt Ronnies Einsicht sowieso zu spät. Ihm droht eine mehrjährige Haftstrafe. Eine seiner Frauen hat bei der Polizei Strukturen und Zusammenhänge offenbart, Drohungen und Szenen brutaler Unterdrückung geschildert. Sie ist jetzt im Zeugenschutzprogramm. "Frauen siehst du nur noch als Geldobjekt", sagt Ronnie, "nicht mehr als Menschen. Und so behandelst du sie dann auch."

Jetzt, nachdem Monate vergangen seien, entdecke er wieder so etwas wie ein Gefühlsleben. "Ich habe jahrelang in einer Parallelwelt gelebt. Ich habe keine soliden Freunde mehr. Die Hells Angels sind wie eine Sekte. Wenn du länger darin unterwegs bist, erkennst du dich irgendwann selbst nicht wieder."