“Mit der Steueroase Norderfriedrichskoog ist es vorerst vorbei“, bilanziert Bürgermeister Jann-Henning Dircks im Abendblatt.

Norderfriedrichskoog. Das bekannteste Steuerparadies Deutschlands, die Gemeinde Norderfriedrichskoog auf Eiderstedt, kapituliert. Die Friesen werden heute in einer Gemeindeversammlung die Gewerbesteuer auf das Niveau einiger Städte im Hamburger Umland anheben, weil das Dorf ansonsten aufgrund von Landesregelungen vor der Pleite steht. "Mit der Steueroase Norderfriedrichskoog ist es vorerst vorbei", bilanziert Bürgermeister Jann-Henning Dircks im Gespräch mit dem Abendblatt.

Mit dem Steuerbeschluss endet ein beispielloser Goldrausch. Vor mehr als 20 Jahren eröffneten erste Unternehmen Büros in dem Dorf hinter dem Deich, weil dort keine kommunalen Steuern erhoben wurden. Für den Aufstieg des Koogs zur Top-Adresse für Steuersparer sorgte dann 1995 ausgerechnet der Bundesrechnungshof. Er machte den Ort nun richtig bekannt, indem er die riesigen Steuerausfälle beklagte, die der Ort verursache. Und bescherte damit der Gemeinde, die aus einigen Häusern an zwei Straßen besteht, einen Boom.

Mehr als 500 Unternehmen, darunter die Lufthansa oder die Deutsche Bank, wickelten zeitweise Geschäfte über den Koog ab, sollen in guten Jahren mehrere Hundert Millionen Euro legal am Fiskus vorbeigeschleust haben.

Vor sieben Jahren versuchte der Bund vergeblich die Massenflucht in die Steueroase zu stoppen. Der seit 2004 bundesweit vorgeschriebene Mindesthebesatz für die Gewerbesteuer (200 Prozent) schreckte nur einige Firmen ab. Viele andere zahlten lieber in Norderfriedrichskoog den Mindestsatz. In Hamburg ist die Gewerbesteuer bis heute mehr als doppelt so hoch.

"Mit dem Bundesgesetz allein könnten wir leben", sagt Bürgermeister Dircks. Hinzu kämen aber die Landesgesetze. Nach ihnen muss Norderfriedrichskoog seine Millioneneinnahmen an das Amt Eiderstedt, an den Kreis Nordfriesland und in einen Landestopf für alle Kommunen abführen. Der Obolus für diesen Topf wird allerdings nicht auf Grundlage des realen Hebesatzes von 200 Prozent berechnet, sondern auf Basis eines Durchschnittswerts von 310 Prozent Gewerbesteuer.

"Norderfriedrichskoog muss so unter dem Strich mehr an andere zahlen, als es überhaupt einnimmt", sagt der Bürgermeister. Zahlen nennt er nicht. In Kiel wird vermutet, dass das Friesendorf im laufenden Jahr mehr als 30 Millionen Euro Gewerbesteuer kassiert und damit mehr als so manche größere Stadt. Weiterleiten muss Norderfriedrichskoog aber um die 50 Millionen Euro. "Die Rücklagen sind aufgebraucht, und wenn sich nichts ändert, sind wir 2012 pleite", sagt Dircks.

Nordfrieslands Landrat Dieter Harrsen ist zu demselben Ergebnis gekommen. Er empfahl Norderfriedrichskoog einen Hebesatz von 310 Prozent und setzte diese Steuererhöhung gegen die widerspenstigen Dörfler beim Oberverwaltungsgericht Schleswig durch.

Der Bürgermeister muss der Gemeindeversammlung, die es in Dörfern mit weniger als 70 Einwohnern anstelle der Gemeindevertretung gibt, heute daher einen Gewerbesteuer-Hebesatz von mindestens 310 Prozent vorschlagen. Andernfalls würde der Landrat die Steuererhöhung "in Ersatzvornahme" in Kraft setzen, so Dircks.

Zahlen sollen die noch etwa 350 Firmen in Norderfriedrichskoog rückwirkend ab Jahresbeginn. "Schwarzmaler glauben, dass die Firmen so schnell verschwinden, wie sie gekommen sind", erzählt Dircks. "Laptop zu und weg." Er selbst hofft inständig, dass einige Unternehmen bleiben. "Wir haben hier ja sonst nichts."

Ganz aufgegeben haben die Steuerrebellen nicht. Dircks kämpft für eine "Härtefallklausel" in den Landesregelungen. Scheitere das, werde Norderfriedrichskoog zu einem normalen Dorf. Einen Schritt dahin gehen die Friesen. Sie müssen wegen der leeren Kasse Grundsteuern einführen.