Für den Ausbau von Windkraft sollen 1400 Kilometer neue Stromkabel durch den Norden laufen. Proteste von Anliegern und Naturschützern.

Kiel/Hannover. Schleswig-Holstein und Niedersachsen fällt beim Ausbau der Windkraft im Meer als Alternative zum Atomstrom die Schlüsselrolle zu. Davon profitiert die heimische Wirtschaft, aber es gibt eine Kehrseite der Medaille: In beiden Ländern müssen die Höchstspannungsnetze so massiv ausgebaut werden wie nirgendwo sonst in Deutschland. Das fordert Proteste der betroffenen Anlieger heraus.

Niedersachsen hat derzeit 1850 Kilometer Höchstspannungsleitungen mit 380 Kilovolt (KV). Bereits bis 2015 muss dieses Netz nach den bisherigen Planungen um 400 Kilometer erweitert werden. Konkret geplant werden davon derzeit die vier Trassen Wahle-Mecklar (200 Kilometer), Diele-Niederrhein (30 km), Ganderkesee-St. Hülfe (60 km) und Stade-Hamburg (20 km), um Netzlücken zu schließen.

Die Deutsche Energieagentur fordert aber in ihrer Netzstudie II außerdem bis 2020 bundesweit weitere 3600 Kilometer Höchstspannungsleitung, davon rund 1000 Kilometer in Niedersachsen und 400 Kilometer in Schleswig-Holstein. Konkret bedeutet dies, dass zwei bis drei neue Schneisen von der Nordsee quer durch Niedersachsen geschlagen werden müssen, um den Windstrom nach Süddeutschland zu schaffen. Die Deutsche Energieagentur (dena) unterstellt allein zwischen 2015 und 2020 einen Ausbau der Offshore-Kapazität von 7000 auf 14 000 Megawatt (MW).

Der Flächenverbrauch ist bei den Trassen das eine Problem, die Angst der Bevölkerung vor der Verschandelung der Landschaft und elektromagnetischen Feldern im Umfeld der Trassen das andere. Niedersachsen hat deshalb dafür gesorgt, dass das entsprechende Bundesgesetz geändert wurde. Bei drei umstrittenen Projekten, darunter die lange Leitung ab Wahle nach Hessen, kann das Land eine Erdverkabelung anordnen, wenn die Leitung näher als 400 Meter an Siedlungen und 200 Meter an Einzelgebäude heranreicht. Zudem hat Ministerpräsident David McAllister (CDU) die Einführung von Ausgleichszahlungen an Gemeinden vorgeschlagen, um die Akzeptanz zu verbessern.

Das reicht den Kritikern nicht aus, sie fordern eine generelle Erdverkabelung und Gleichstromkabel, weil die weit weniger elektromagnetische Felder erzeugen. Diese Variante hat aber zwei Nachteile. Zum einen beträgt der Kilometerpreis mit geschätzten fünf Millionen Euro das Fünffache jenes für oberirdische Wechselstromleitungen. Zum anderen vermindern Erdkabel die Versorgungssicherheit, weil Reparaturen Wochen dauern, die bei Hochspannungsmasten in Stunden erledigt werden können. Ob Erdverkabelung von 380-KV-Leitungen oder Gleichstromübertragung, der Netzbetreiber Tennet wird bauen, was vom Gesetzgeber vorgegeben wird, inklusive der Gefahr, dass häufiger mal die Lichter ausgehen. Tennet-Geschäftsführer Lex Hartmann sagte, die Politik sollte dann aber auch gleich ihre Telefonnummern ins Gesetz schreiben: "Dann rufen die Bürger nicht bei uns an, sondern bei den Politikern, wenn der Strom ausfällt."

All die Fragen rund um Trassen, die richtige Technik und die knappe Zeit stellen sich auch in Schleswig-Holstein, wo ebenfalls ein massiver Ausbau geplant ist. Nach Informationen des Abendblatts will der Netzbetreiber Tennet zwei neue Stromautobahnen (380 KV) mit einer Gesamtlänge von bis zu 400 Kilometern entlang der Küsten von Nord- und Ostsee bauen. Geplant ist zudem, 220-KV-Leitungen auf einer Länge von 200 Kilometern auf 380 KV aufzurüsten - im Resultat eine Verdoppelung des Netzes. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) hat angekündigt, dass sich das Landschaftsbild in Schleswig-Holstein durch den Ausbau deutlich ändern wird. Benötigt werden Trassen, weil das Land vor einem Windstrom-Boom steht. Und das nicht nur durch Offshore-Anlagen im Meer. Allein das "Repowering" - alte Windmühlen werden durch neue ersetzt - bringt statt derzeit 3000 MW an Land etwa 9000 MW im Jahr 2015.

Beim Netzausbau stehen die genauen Trassen noch nicht fest. Klar ist, dass die große Westküsten-Stromautobahn über Niebüll, Husum und Heide nach Brunsbüttel führen soll und dann über die Elbe. An der Ostküste soll die 380-KV-Leitung von Kiel über Heiligenhafen bis nach Lübeck führen. Aufgerüstet werden sollen die 220-KV-Leitungen von Hamburg nach Brunsbüttel, Rendsburg und Lübeck.