Gestern Abend wurden die ehrgeizigen Pläne für eine wachsende Insel den Einwohnern präsentiert

Helgoland. Helgoland steht vor dem größten Umbruch seit 1952, als die einzige deutsche Hochseeinsel nach den Zerstörungen infolge des Krieges wieder aufgebaut werden konnte. Gestern Abend präsentierte Bürgermeister Jörg Singer während einer Einwohnerversammlung die endgültige Fassung eines Entwicklungskonzepts für den roten Felsen, der 60 Kilometer von Cuxhaven entfernt aus der Nordsee ragt. "Wir sind jetzt auf der Ziellinie, jetzt geht es an die Umsetzung", sagte Singer. Das Konzept sieht eine Reihe von Projekten vor - im Mittelpunkt stehen aber zwei Varianten einer Landaufspülung.

Darüber sollen die rund 1200 Bewohner nun am 26. Juni bei einem Bürgerentscheid endgültig abstimmen. Die eine Variante sieht eine große Lösung vor. Dabei würden Hauptinsel und Badedüne wieder verbunden werden. Etwa 295 000 Quadratmeter groß wäre dieses Neuland und hätte Platz für neue Häuser, Strände und Freizeitmöglichkeiten. Die zweite Variante sieht eine deutlich kleinere Aufspülung vor. Dabei würde am Nordosthafen ein 94 000-Quadratmeter-Areal aufgespült.

Auslöser für das Regionale Entwicklungskonzept und die Idee einer Aufspülung für ein neues, größeres Helgoland war der "Helgoland-Master-Plan" des Hamburger Bauunternehmers Arne Weber, dessen Familie von der Insel stammt. Er schlug 2008 vor, die Fläche der Insel um rund einen Quadratkilometer zu verdoppeln und die Meerenge zwischen Hauptinsel und Düne aufzuspülen. Dort ist das Wasser nicht sehr tief, bis ins 18. Jahrhundert gab es hier sogar noch eine Landverbindung, die durch eine Sturmflut fortgerissen wurde. Die Helgoländer, so Weber, würden sich ihr Land einfach zurückholen. Mit 300 Jahren Verspätung.

Rund 80 Millionen Euro würde eine solche Aufspülung kosten, mithin würde jeder Quadratmeter Neuland dann nur 80 Euro kosten, aber weit mehr wert sein.

Auf der Insel führte die Idee zu heftigem Streit, mancher sagte sogar, es sei ein Generationenstreit: Auf der einen Seite die Alten und Rentner, die nicht viel verändern wollen. Bei einem Durchschnittsalter von 58 Jahren mittlerweile eine große Gruppe. Denn Familien zogen in den vergangenen Jahren oft fort, weil es keine Perspektiven für sie gab. Die Klassenzimmer leerten sich, die Bevölkerung schmolz von gut 3000 auf etwa 1200. Rund 2000 Menschen müssten aber auf der Insel leben, um als Gemeinwesen lebensfähig zu bleiben. Hinzu kam der Niedergang im Tagestourismus. 800 000 Gäste waren es einmal in den 1970er-Jahren, als noch viele Seebäderschiffe vor dem Felsen ankerten. Heute kommen knapp 300 000. Dennoch wagten sich der Rat und der frühere Bürgermeister nicht an die große webersche Lösung und präsentierten eine deutlich abgespeckte Version mit kleiner Anspülung, um wieder verlockender zu werden.

Doch im Hintergrund wirkte eine Gruppe junger Unternehmer wie der Hotelier Detlef Rickmers. Mit dem Konzept "Hochseewelt Helgoland" entwickelten sie die neue Insel, die zu der Variante mit der großen Aufspülung führte. Bei einer ersten Einwohnerversammlung im Januar wurde sie präsentiert und fegte die kleine Lösung dahin wie ein Frühjahrssturm den Sand der Düne. Mit überwältigender Mehrheit stimmte die Versammlung das erste Mal für das neue große Helgoland. Sollte der Bürgerentscheid in wenigen Wochen ähnlich ausfallen, soll mit den ersten Arbeiten noch in diesem Jahr begonnen werden.

Darüber hinaus sieht das gestern präsentierte Konzept aber noch eine Reihe weiterer Pläne für die Insel vor, die nun unabhängig vom Bürgerentscheid umgesetzt werden sollen. So soll die alte Kurpromenade zu einer "Erlebnispromenade" umgebaut werden. Energie soll möglichst regenerativ erzeugt werden. Und Helgoland soll sich als Standort für die Meeresforschung weiter ausrichten und damit auch touristisch werben, etwa durch ein größeres Aquarium. "Das ist ein riesiger Blumenstrauß und eine Aufgabe vergleichbar mit dem Wiederaufbau von 1952", sagte Bürgermeister Singer. Doch dazu brauche die Insel jetzt auch neue attraktive Flächen. Helgoland wird also wachsen müssen. So oder so.