Drei Tage nach dem Unfall werden noch 16 Opfer in Kliniken behandelt. Backhaus: Windschutz hätte Karambolage nicht verhindert.

Güstrow/Rostock/Schwerin. Hätte die Massenkarambolage von 80 Autos auf der A19 durch Windschutzhecken verhindert werden können? "Nein", sagt Mecklenburg-Vorpommerns Agrarminister Till Backhaus (SPD): „Das waren feinste Humuspartikel, die der Sturm aufgewirbelt hat“, sagte er am Montag. Mitarbeiter der Agrargenossenschaft, die an der A19 bei Rostock wirtschaften, hätten den Acker gepflügt und für den Kartoffelanbau vorbereitet. „Vor Verwehungen, ob von Schnee oder Sand, gibt es keinen wirksamen Schutz“, betonte Backhaus. Eine ausgeräumte Landschaft, wie sie in der DDR entstand, weise jedoch ein gewisses Gefährdungspotenzial auf, gab der Minister zu. „Wir haben wegen der Großraumlandwirtschaft Lösungen zu suchen.“ (dpa/abendblatt.de)

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Massencrash auf A19: Noch 16 Unfallopfer in Klinik

Nach dem Horror-Unfall auf der A19 werden nich 16 Menschen in Kliniken rund um den Ort des Geschehens behandelt. Laut Aussage des KMG-Klinikums liegt ein Mann in kritischem Zustand auf der Intensivstation in Güstrow. In dem Krankenhaus, dass nur wenige Kilometer vom Unfallort bei Kavelstorf entfernt ist, werden insgesamt noch sechs Opfer behandelt, in den beiden Kliniken in Bad Doberan und Rostock zehn weitere. Die zwei Frauen in der Bützower Klinik sollten am Montag entlassen werden. Nach der größten Massenkarambolage in Deutschland seit 20 Jahren waren am Freitag 44 Menschen in Krankenhäuser gebracht worden.

Laut Aussage des Fachabteilungsleiters für den Bereich Gutachten der Prüforganisation Dekra, Dirk Hartwig, werde es Wochen und Monate dauern, bis die Ereignisse auf der Autobahn 19 südlich von Rostock aufgearbeitet sind. Bisherige öffentliche Äußerungen über die Unfallursache oder den genauen Ablauf seien "pure Spekulation".

Jetzt ermittelt auch die Staatsanwaltschaft. "Es besteht der Verdacht der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung", sagte Maureen Wiechmann, Sprecherin der Rostocker Staatsanwaltschaft. Experten der Prüforganisation Dekra sollen klären, ob Autofahrer angesichts der drohenden Gefahr zu schnell oder zu unvorsichtig gefahren sind. Die Gutachter seien am Freitag bereits am Unfallort gewesen und hätten mehrere Autos beschlagnahmt, so Wiechmann.

Der Horrorunfall ereignete sich am Freitag gegen 12.50 Uhr zwischen den Anschlussstellen Kavelstorf und Laage. Ein Sturm hatte Sand von den umliegenden Feldern aufgewirbelt und über die Autobahn geweht. Für die Fahrer sank die Sichtweite plötzlich auf unter zehn Meter. 75 Pkws und sieben Lkws rasten in beiden Fahrtrichtungen ineinander, mehr als 30 Wagen gingen in Flammen auf, auch ein Gefahrenguttransporter brannte. "Das war ein einziges Trümmerfeld und es waren schockierende Bilder", berichtete Feuerwehr-Einsatzleiter Hannes Möller. Bei dem Inferno verloren acht Menschen ihr Leben, 131 Menschen wurden verletzt. 21 Unfallopfer waren am Sonntag noch in den umliegenden Krankenhäusern in Behandlung.

Die Identifizierung der acht Toten dauerte bis zum späten Sonnabend an. Sie waren bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Vier der Opfer stammten aus Mecklenburg-Vorpommern, zwei aus Brandenburg, eines aus Berlin und eines aus Sachsen-Anhalt, bestätigte ein Polizeisprecher am Sonntag. Die fünf Männer und drei Frauen waren zwischen 34 und 75 Jahren alt.

Brennende Wracks, Trümmer, Tote: Diese Bilder und Eindrücke müssen nun die 131 Verletzten und rund 300 Helfer verarbeiten. 20 freiwillige Feuerwehren aus den umliegenden Gemeinden waren an dem Einsatz beteiligt. Bereits am Freitag kümmerten sich speziell ausgebildete Helfer um die psychischen Folgen des Unglücks. Unmittelbar nach dem Massencrash sagte ein Autofahrer, der gerettet werden konnte: "Was passiert ist, kann man noch gar nicht realisieren. Ich glaube, ich habe heute meinen zweiten Geburtstag." Ein anderes Unfallopfer berichtete, dass alles blitzschnell gegangen sei. Plötzlich sei überall Feuer um einen herum gewesen.

Unterdessen erinnern nur noch frisch planierte Böschungen und ein etwa 60 Meter langes "Asphalt-Pflaster" auf der vom Feuer beschädigten Betondecke an das folgenschwere Unglück. Seit Sonntag ist die Autobahn wieder in beide Richtungen befahrbar. Die Fahrbahn in Richtung Süden war schon am Sonnabendnachmittag wieder freigegeben worden. Auf der Strecke Richtung Norden hatten die brennenden Autos besonders schwere Schäden hinterlassen. Laut Polizei habe sich an einigen Stellen das geschmolzene Metall der Wracks in den Beton eingebrannt. Die Helfer der Autobahnmeisterei haben bis zum frühen Sonntagnachmittag die Unfallschäden beseitigt. Der letzte verunglückte Lkw wurde mit einem Schwerlastkran geborgen.

An der Unfallstelle darf jetzt nur noch mit 80 Kilometern pro Stunde gefahren werden. Vorher gab es dort keine Geschwindigkeitsbegrenzung. Bereits am Sonnabend hatte Mecklenburg-Vorpommerns Verkehrsminister Volker Schlotmann (SPD) eine Diskussion über Tempolimits gefordert. "Man kann nicht jeden Unfall durch Verkehrsregeln verhindern", sagte er. "Aber wir müssen darüber reden, ob und wie Tempolimits zu mehr Sicherheit beitragen können." Es gebe aber auch Momente, in denen alle Vorsicht und Prävention nicht ausreiche.

So wie eventuell bei dem Massenunfall auf der A 19. Dass die Sicht dort so besonders schlecht war, lag vermutlich an einer Verkettung unglücklicher Umstände und einer geografischen Besonderheit: Da die Autobahn dort nach einem Waldstück durch eine leichte Senke führt, sind die Autofahrer regelrecht in eine Wand aus Sand gefahren. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) erklärte dazu nach Angaben eines Sprechers: "Selbst höchsten Anstrengungen bei der Verkehrssicherheit werden durch solche extremen Naturgewalten Grenzen gesetzt."

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Gedenkgottesdienst für Opfer am Mittwoch in Rostock

Am Mittwoch (13. April) wird es einen zentralen ökumenischen Gedenkgottesdienst für die Opfer des Massenkarambolage auf der A19 geben. In der St. Marienkirche wird der acht Toten und den vielen Verletzten des Ufnalls gedacht. Die Evangelische Landeskirche Mecklenburgs und die Katholische Kirche luden dazu ein.

Viele Menschen seien nach dem Unglück erschüttert, hieß es in einer am Sonntag verbreiteten Erklärung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs und des Erzbischöflichen Amtes Schwerin. Der Gottesdienst solle Raum für Trauer und Klage geben, aber auch Trost spenden und Menschen in ihrer Not stärken. Mitglieder der Landesregierung hätten ihr Kommen zugesagt.

Zuvor hatte der Pfarrer der Kavelstorfer Kirche, Konrad Frenzel, den 17. April als möglichen Termin für einen zentralen Gottesdienst genannt und für Montag eine Entscheidung darüber, an welchem Ort die Veranstaltung stattfindet, nach einem Gespräch zwischen Staatskanzlei und Oberkirchenrat angekündigt. Der Sprecher der Evangelischen Landeskirche Mecklenburgs, Christian Meyer, konnten einen anderen Termin als den nächsten Mittwoch nicht bestätigen.

Die Kavelstorfer Kirchgemeinde hatte auch das eigene Gotteshaus als Veranstaltungsort empfohlen. Es sei nicht nur Autobahnkirche, sondern liege auch in unmittelbarer Nähe des Unfallortes, sagte die ehemalige Vorsitzende des Kirchgemeinderates, Waltraud Sander. Sie räumte allerdings ein, dass die Kirche maximal nur 300 Gäste fasst. An einem zentralen Gottesdienst würden jedoch weitaus mehr Teilnehmer erwartet.

An dem verheerendsten Unfall in der Geschichte Mecklenburg-Vorpommerns waren mehr als 80 Pkw und Lkw mit insgesamt rund 110 Insassen beteiligt. Ein schwerer Sturm hatte Sand von angrenzenden Feldern auf die Autobahn geweht, der den Fahrern plötzlich die Sicht nahm. Drei Dutzend Fahrzeuge brannten aus, für acht Insassen kam jede Hilfe zu spät. 41 Personen mussten im Krankenhaus behandelt werden, drei liegen noch auf der Intensivstation. (abendblatt.de/dapd)