Mojib Latif, 56, in Hamburg geboren, ist seit 2006 Professor an der Universität Kiel

Hamburger Abendblatt:

1. Wie ungewöhnlich sind solche heftigen Sandstürme in Mecklenburg-Vorpommern, wie sie jetzt zu der Massenkarambolage auf der A 19 geführt haben, bei der in der Nähe von Rostock acht Menschen umgekommen sind?

Prof. Dr. Mojib Latif:

Heftige Stürme an der See sind nicht ungewöhnlich, sie reichten jedoch dieses Mal bis weit ins Landesinnere. Aber es gab zu den Windstärken von elf bis zwölf zusätzlich eine Verkettung weiterer unglücklicher Faktoren: eine brachliegende Ackerfläche direkt neben der Autobahn, dazu eine ungewöhnliche, seit Wochen anhaltende Trockenheit. All diese Umstände zusammen haben bewirkt, dass große Mengen Sand sehr plötzlich aufgewirbelt werden konnten und den Autofahrern die Sicht versperrten.

2. Kündigt sich für Autofahrer eine solch starke Sandverwehung an, sodass sie ihre Fahrweise anpassen können?

Latif:

Nein, das kann man nicht sagen. Alle Begleitumstände bei diesem Unglück waren eher ungewöhnlich: hoch liegende Felder neben der Autobahn, keine abgrenzenden Sträucher oder ein anderer Bewuchs. Die Autofahrer wurden offensichtlich völlig überrascht. Das zeigt, wie wichtig ein ausreichender Sicherheitsabstand zum Vordermann ist. Es kann jederzeit etwas Unvorhergesehenes passieren, gerade auch bei Starkwind.

3. Fördern die riesigen Monokulturflächen in Mecklenburg-Vorpommern und fehlende Knicks Sandverwehungen bei Sturm?

Latif:

Natürlich, je mehr der Wind gebrochen wird durch den Bewuchs in den für Norddeutschland typischen Knicks, umso weniger Verwehungen können sich bilden.

4. Sinkt die Gefahr im Sommer, wenn Sträucher und Felder dicht bewachsen sind und den Sand eventuell aufhalten können?

Latif:

Auf jeden Fall. Eine ähnliche Situation im Sommer mit einem stärkeren Bewuchs würde den Sand nicht in derart großen Mengen aufsteigen lassen. Ein Großteil würde durch die Pflanzen gestoppt.

5. 1997 gab es ähnlich starke Sandstürme in Mecklenburg-Vorpommern. Müssen wir wegen des Klimawandels häufiger mit solchen Wetterkapriolen rechnen?

Latif:

Ja und nein. Großflächige, Sturmflut erzeugende Stürme werden eher nicht zunehmen, wohl aber die kleinräumigeren Stürme mit Gewittern bis hin zu Tornados. Aber insbesondere im Osten Deutschlands wird die Trockenheit tendenziell zunehmen. Das bedeutet mehr Potenzial für Sandstürme. Gefährdet sind auch andere Gegenden in Norddeutschland, wo die Böden sandig sind und die Landschaft sehr flach ist.