Nach der Familientragödie in Pinneberg wurde der dringend tatverdächtige Ex-Freund der Frau in eine Klinik eingewiesen. Hintergründe unklar.

Pinneberg. Vor der Haustür bietet sich ein Anblick, der einen schaudern lässt. Auf dem Boden unter den zwölf Briefkästen liegen Rosen und Tulpen. Ein weißer Zettel stellt sechsmal dieselbe Frage: "Warum???" - jeweils mit drei Fragezeichen. Eine Kondolenzkarte ist mit den Worten beschrieben: "Wir trauern um Jean Claude und seine Mama - die Nachbarn". Dazu haben sie einen abgenutzten, fast platten Fußball gelegt, mit dem der fünf Jahre alte "plietsche Junge" immer vor dem Haus spielte, erzählt Nachbar Wilhelm Neumann. Die Teelichter sind erloschen. "Als ich heute morgen die Kerzen vor der Tür brennen sah, ist es mir unheimlich nahe gegangen", sagt er.

Die Anwohner sind geschockt und fassungslos über die Familientragödie, die sich in ihrem Wohnblock, fast Tür an Tür in der Oberst-von-Stauffenberg-Straße in Pinneberg am Sonntagvormittag abgespielt hat. "Mord und Totschlag hatten wir hier noch nicht", sagt Rudolf Urban, der seit 50 Jahren genau über der Erdgeschosswohnung lebt, wo keine 24 Stunden zuvor eine 43 Jahre alte Mutter und ihr fünf Jahre alter Junge getötet worden sind. Dringend verdächtig, die Tat begangen zu haben, ist der 41 Jahre alte Ion G., der Vater des Kindes und ehemalige Lebensgefährte der Mutter. Das Amtsgericht Itzehoe geht von einem dringenden Tatverdacht wegen Totschlags aus und wies ihn in eine psychiatrische Klinik ein.

Was die Ermittlungen erschwert, ist der Umstand, dass der Tatverdächtige stark hörgeschädigt ist, sagt Karl Brill von der zuständigen Mordkommission in Itzehoe. Der Rumäne sei taub und könne sich nur bruchstückhaft äußern. Wenn er spricht, hört es sich eher wie ein Krächzen an, sagt ein Nachbar. Das eine Opfer, die Mutter seines Sohnes, die er beide vermutlich in den Mittagsstunden des Sonntags umgebracht hat, war taubstumm. Nur der fünf Jahre alte Junge konnte normal hören und sprechen. Der machte sich manchmal seinen Spaß mit den Nachbarn, drehte das Radio auf volle Lautstärke, dass es überall im Haus zu hören war, erzählt Nachbar Urban. Er habe dann geklingelt und den Jungen gebeten, es leiser zu drehen. "Er hat dann über das ganze Gesicht gestrahlt."

Die Tragödie muss sich irgendwann zwischen 11.30 und 13.30 Uhr in der 72 Quadratmeter großen 2,5-Zimmer-Wohnung abgespielt haben. Eine Nachbarin hörte noch um 11.20 Uhr das spätere Opfer auf dem Balkon laut husten. "Die Frau hat sehr stark geraucht. Das Husten konnte man im ganzen Haus hören." Danach war aber Ruhe. "Einen Schrei haben wir nicht gehört", versichert Nachbar Urban. Um 13.45 Uhr am Sonntag meldete sich Ion G. bei der Polizeiwache in Pinneberg und machte irgendwie verständlich, dass etwas Schreckliches in der Wohnung seiner Ex-Frau passiert sei. Die Polizei raste sofort in die Oberst-von-Stauffenberg-Straße und entdeckte die Toten. Beide Opfer haben mehrere Stiche in den Oberkörpern, sagt Polizeisprecher Brill. Die Tatwaffe war ein Küchenmesser. Zum Tathergang und zum Motiv könne er noch keine Angaben machen, sagt Brill. Mit einem Dolmetscher versuchten sie den Tatverlauf aufzuklären.

Es war nicht das erste Mal, dass Ion G. handgreiflich wurde und ausflippte. "Der war manchmal unbeherrscht und konnte jähzornig werden", sagt ein Nachbar. Seit etwa sechs Jahren lebte die Familie hier. Der Sohn wurde hier geboren. Vor etwa zwei Jahren habe Ion G. die Wohnung verwüstet und eine Tür zerstört. Die Mutter zeigte damals die Folgen dieses Wutausbruchs ihrer Nachbarin. Ion G. musste seinerzeit ausziehen, nahm sich eine andere Wohnung in Pinneberg. Alle zwei Wochen besuchte er aber seinen Sohn. Dennoch kam es offenbar weiter zu Streit in der Familie. Die Mutter und Großmutter der beiden Opfer, eine Ungarin, der auch die 50 Jahre alte ehemalige Neue-Heimat-Wohnung gehört, sagte einer Nachbarin: "Ich habe Angst um meine Tochter. Der Mann ist ein Psychopath."

Doch weil ihr Sohn den Vater so liebte, der immer herzlich mit ihm umging, draußen Fußball spielte und ihn morgens in den Kindergarten brachte, sei Ion G. in jüngster Zeit wieder häufiger über Nacht geblieben. Noch am Sonntagmorgen hörten die Nachbarn den Jungen rufen: "Papa, Papa, Papa!" Dann nahm die Tragödie ihren Lauf.