Niedersachsens CDU-FDP-Koalition setzt Reform gegen den Widerstand der Opposition durch und verabschiedet sich vom dreigliedrigen Schulsystem.

Hannover. Als letztes norddeutsches Bundesland zieht Niedersachsen Konsequenzen aus dem Rückgang der Schülerzahlen und nimmt Abschied vom dreigliedrigen Schulsystem. Der Landtag in Hannover verabschiedete mit den Stimmen von CDU und FDP eine Strukturreform. Schon zum Beginn des neuen Schuljahrs können die Kommunen Haupt- und Realschulen zur neuen Oberschule für die Klassen fünf bis zehn zusammenlegen.

Alle drei Oppositionsparteien stimmten gegen die Schulreform, weil die Koalitionsregierung ihre Hauptforderung nicht aufgenommen hat, die Gründung neuer Gesamtschulen zu erleichtern. Der CDU-Bildungsexperte Karl-Heinz Klare verteidigte das Gesetz. Es schaffe den Kommunen die Möglichkeit eines "schulischen Maßanzuges für die jeweilige Region". Das Gesetz hat für ihn wegen der Abkehr vom dreigliedrigen System aus Haupt- und Realschulen neben dem unveränderten Gymnasium "historische Bedeutung".

Kultusminister Bernd Althusmann (CDU) rechnet schon im August mit mindestens 50 Oberschulgründungen: "Diese neue Schulform ist die richtige Antwort zur richtigen Zeit angesichts des massiven demografischen Entwicklung." Schon derzeit sind 280 der 430 Hauptschulen in Niedersachsen nur noch einzügig, eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich angesichts des erwarteten Rückgangs der Schülerzahlen um bis zu 40 Prozent in den kommenden 15 Jahren auch für viele der 465 Realschulen ab. Die Zusammenfassung von Haupt- und Realschulen ist künftig vor allem auf dem flachen Land die einzige Möglichkeit, ein wohnortnahes Schulangebot zu sichern.

Gegründet werden können auch einzügige Oberschulen, genau dies kritisiert die Opposition als Bevorzugung, da Gesamtschulen mindestens fünfzügig sein müssen. "Sie sind wegen ihres Gesamtschulhasses zu einem Schulfrieden nicht in der Lage", sagte die schulpolitische Sprecherin der Grünen, Ina Korter. SPD, Linksfraktion und Grüne gehen davon aus, dass das Gesetz wegen der Benachteiligung der Gesamtschulen verfassungswidrig ist und vor den Gerichten keinen Bestand hat. Für den Fall eines Regierungswechsels nach der Landtagswahl Anfang 2013 wollen die Oppositionsparteien die Reform wieder kippen.

Gescheitert ist damit der Versuch von Ministerpräsident David McAllister (CDU), eine einvernehmliche Lösung zu erreichen. Genau dies hatte er im Sommer 2010 unmittelbar nach seiner Wahl zum Regierungschef angekündigt. Sein Kultusminister Althusmann schlug danach vor, Oberschulen ab drei Klassen je Jahrgang auch die Einführung einer gymnasialen Oberstufe zu erlauben. Genau diese Möglichkeit aber kassierten dann die Koalitionsfraktionen überraschend im Februar. Damit aber und wegen der unveränderten Fünfzügigkeit der Gesamtschulen kam es nicht zum angestrebten Schulkonsens. Frauke Heiligenstadt, schulpolitische Sprecherin der SPD, glaubt zudem nicht, dass die Oberschule auf Akzeptanz bei Eltern und Kindern stößt: "Sie produzieren eher einen zusätzlichen Run auf die Gymnasien."

Außer dem Philologenverband begrüßte auch der niedersächsische Industrie- und Handelskammertag die Reform, die Mehrheit der beteiligten Verbände kritisiert dagegen die unverändert hohen Hürden für Gesamtschulen und den Verzicht auf eine Oberstufe für die neuen Oberschulen. Dies kritisierte auch ein prominenter Christdemokrat, der Oberbürgermeister von Salzgitter und Präsident des Städtetages Niedersachsen, Frank Klingebiel: "Ein ortsnahes gymnasiales Angebot in der Fläche wird damit unwahrscheinlich, damit wird die Zukunft der kleinen ländlichen Zentren nicht gesichert."