Vor 60 Jahren gründeten Benediktiner in Nütschau ihr nördlichstes Kloster in Deutschland. Gäste wohnen wie im Hotel

Bad Oldesloe. Helles Glockengeläut ruft noch vor der Morgendämmerung zur Vigil. Zu dem Nachtgebet kommen in der Kirche des Klosters Nütschau um 6.30 Uhr nicht nur in schwarze Kutten gekleidete Benediktinermönche zusammen. In ihre gregorianischen Wechselgesänge stimmen auch weltliche, in Parkas und Pullover eingemummte Besucher ein. Mit deckenhohen Fenstern, durch deren farbige Scheiben bald das Tageslicht dringen wird, öffnet sich der Bau der Außenwelt - genauso, wie die Benediktiner.

Gemäß ihrem Motto "ora et labora!" (bete und arbeite!) tauscht anschließend Bruder Wolfgang Simak, 48, seine Kutte gegen gelbe Gummistiefel, Bluejeans, Pullover, Helm, Lärmschützer und Handschuhe. Hinter dem dreigiebligen Herrenhaus, das der Protestant und Humanist Heinrich Rantzau ab 1577 errichten ließ und das nun optischer Mittelpunkt der Anlage ist, zersägt er Holzscheite, mit denen die Heizung der Anlage befeuert wird. Das Kreischen der Motorsäge ist noch weit in den anliegenden Wald hinein zu hören, der von den Mönchen bewirtschaftet wird. Besucher wie Klemens Emmerich, 63, aus dem westfälischen Marl dürfen dort auch gerne mitarbeiten und Holz hacken.

Ob im sogenannten Stillen Bereich neben der Kirche oder in einem weiteren Gästehaus: Jeder ist willkommen, gleich welcher Religion, gleich ob kirchenkritisch oder Atheist. "Alle Fremden sollen aufgenommen werden wie Christus", schrieb Benedikt von Nursia (480-547) in seine Regel. Das bedeutet für den Orden auch, für Gespräche mit Gästen bereitzustehen.

"Das Schöne ist, dass man in einem geschützten Raum lebt", begründet Karin Müller aus Ibbenbüren, warum sie in diesem Kloster und nicht in einem Hotel entspannt. Die 42-jährige berufstätige Mutter gönnt sich jedes Jahr ein paar Tage, um dem Stress zu entkommen. "Man wird auch nicht schief angeguckt, wenn man nicht an den Gebeten teilnimmt."

"Oft kommen Menschen, die durch Tod oder Trennung viel zu verarbeiten haben", weiß Bruder Elija Pott, 37, der mit seiner Nickelbrille eher wie ein Intellektueller wirkt. Dazu zählt beispielsweise Uschi Kruse, 62, aus Hamburg. Die Protestantin folgte nach drei Todesfällen in ihrem engeren Umfeld dem Rat einer Bekannten, Ruhe in Nütschau und bei Spaziergängen in der Endmoränenlandschaft zu suchen.

Als am 1. März 1951, also vor 60 Jahren, Bruder Michael Bürgers als erster Mönch von der Abtei im westfälischen Gerleve nach Nütschau entsandt wurde, bestand die Anlage lediglich aus dem Herrenhaus und einem Nebenbau, dem sogenannten Kavaliershaus. Beides hatte die Diözese Osnabrück kurz zuvor erworben. "Wat wüllt de Schwatten hier?", hätten sich die protestantischen Bauern der Umgebung damals gefragt, berichtet Prior Leo Overmeyer, 71, ein wenig amüsiert. Es sollte ein geistliches Zentrum für die Katholiken aufgebaut werden, die aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten nach dem Krieg nach Norddeutschland geflohen waren. Dieses nahm vor allem mit der Eröffnung des Bildungshauses St. Ansgar und dem Gästetrakt 1975 Gestalt an.

So konzentriert sich die Arbeit der Mönche im Wesentlichen auf diese "Stätte der Besinnung, Bildung und Begegnung", die von Bruder Willibrod Böttges geleitet wird. Der hagere 65-Jährige organisierte allein für dieses Jahr rund 250 Veranstaltungen. Sie reichen von Bibel-Lesekreisen bis hin zu Yoga-Wochenenden. Auch traumageschädigte Bundeswehrsoldaten aus Afghanistan werden dort von Psychologen betreut.

Um 11.45 Uhr wird die Arbeit durch das halbstündige Mittagsgebet unterbrochen. Anschließend wandeln die Mönche nahezu geräuschlos durch einen kurzen Gang hinüber zum Wohntrakt. Der postmoderne Betonbau zeigt den Besuchern eine festungsartige Fassade. In Ausnahmefällen dürfen - allerdings nur männliche - Gäste den Bau bis zum Refektorium, dem Speisesaal, betreten und mit den Mönchen an hellen, u-förmig aufgestellten Eichentischen schweigend speisen. Etwa bei Nudelsuppe und Bratwürsten fällt der Blick durch große Fenster auf einen bewaldeten Hügel und eine Wiese mit Rehen. Dazu trägt ein Mönch, der vorne an einem Pult sitzt, aus einem Buch vor. Heute ist es die Chronik des Klosters Maria Laach.

Durch die Seelsorge und die vielen Kurse entsteht eine intensive Verbindung der Mönche zur weltlichen Gesellschaft. Das hat Prior Leo Overmeyer auch an dem französischen Kinofilm "Von Menschen und Göttern" (2010) beeindruckt - insbesondere, wie nahe die Mönche des algerischen Trappistenklosters, die im Mittelpunkt des Streifens stehen, "der umgebenden muslimischen Bevölkerung waren".

Der Kontakt zu Muslimen ist auch ein Anliegen von Bruder Willibrod. "Wir wollen mit denen nicht über den Glauben debattieren, sondern ihnen als Menschen begegnen." Bislang aber ist er von den Begegnungen enttäuscht. "Man stand eher nebeneinander, die wollten nur ihre Religion propagieren."

Bald läutet die Glocke zur Vesper und Eucharistiefeier, die beide um 17.30 Uhr beginnen. Ein Stunde später steht die Abendmahlzeit im Refektorium bereit: Brot, Butter, Käse, Wurstaufschnitt und Tee. Auch dazu wird stets aus einem Buch vorgelesen. Zurzeit steht Peter Scholl-Latours "Die Angst des weißen Mannes" auf dem Programm. Das Weltgeschehen tritt um 20 Uhr in den Tagesablauf der Benediktiner, denn dann sehen viele von ihnen die "Tagesschau" in der ARD.

Liturgische Gesänge beschließen im Komplet, dem Abendgebet, den Tag. Dazu stürmen auch Schüler, die im Jugendhaus übernachten, die Klosterkirche. Eine Viertelstunde später beginnt das Silentium, die Zeit des Schweigens und der Nachtruhe. Um 6 Uhr müssen die Benediktinermönche aufstehen.