Antje Heider- Rottwilm, 61, ist Pastorin in der HafenCity und lebt in der ökumenischen Gemeinschaft Laurentiuskonvent

Hamburger Abendblatt:

1. Unter den Besuchern, die im katholischen Kloster Nütschau bei Bad Oldesloe Besinnung und Gespräche suchen, sind auch Protestanten. Gibt es in der evangelischen Kirche eine Sehnsucht nach klösterlichem Leben?

Antje Heider-Rottwilm:

Ganz sicher gibt es diese Sehnsucht. Ihr wird in Klöstern und geistlichen Gemeinschaften, ob evangelisch, katholisch oder ökumenisch, entsprochen.

2. Würde Luther, der das klösterliche Leben scharf kritisiert hat, das nicht als Verrat ansehen?

Heider-Rottwilm:

Nein, die Kritik Luthers am klösterlichen Leben richtete sich gegen die damalige Rolle der Klöster in der katholischen Theologie und Kirche. Er hat nicht das geistliche Leben kritisiert, erst recht nicht eine Lebensweise, die Gemeinschaft einerseits und Zeiten und Orte des Gebetes und der Kontemplation anderseits zusammenführt.

3. Abgeschiedenheit, Besinnung, Gebet sind typisch für das Klosterleben. Können auch nicht religiöse Menschen damit etwas anfangen?

Heider-Rottwilm:

In der HafenCity machen wir die Erfahrung, dass in unsere kleine Kapelle immer wieder Menschen kommen, die einen Moment ihren Tag unterbrechen und aus der Hektik heraus die Stille suchen, um ihre Gedanken neu zu sortieren oder zu fragen: Wer bin ich, wohin will ich? Das ist ein Urmotiv. Für uns als Kirchen stellt sich die Frage: Begleiten wir die Menschen dabei, überzeugende Antworten aus unserem christlichen Glauben heraus zu finden?

4. Gibt es in der Metropole Hamburg zu wenig Anlaufstellen, in denen Menschen in Not oder Krisen seelisch aufgefangen werden?

Heider-Rottwilm:

Es gibt viele Orte dafür, nehmen Sie nur die City. Ob es der Raum der Stille der Bahnhofsmission ist oder die Kirchen in der Innenstadt. Allein St. Petri betreten jeden Tag etwa 1500 Menschen, davon viele, um einen Moment zur Ruhe zu kommen. Es gibt zahlreiche offene Kirchen und Räume, wo das möglich ist. Die Kirchen haben dieses Grundbedürfnis inzwischen gut erkannt.

5. Was ist modern an den Prinzipien klösterlichen Lebens und was ist überholt aus heutiger Sicht?

Heider-Rottwilm:

Der alte benediktinische Grundsatz ist zeitlos modern: Bete und arbeite. Diese beiden Pole bilden eine Spannung, in der wir uns bewegen. Wir müssen ab und zu innehalten, unterbrechen, durchatmen, nachdenken, um auf diese Weise Kräfte zu sammeln und uns neu engagieren zu können. Das haben auch Betriebe und große Organisationen erkannt, die Räume zur Unterbrechung anbieten. Aus evangelischer Sicht überholt ist vielleicht die strikte Trennung der Geschlechter im traditionellen katholischen Klosterleben.