Hat das Jugendamt im Fall Julian versagt? Andreas Kopp, der Leiter der Holzmindener Behörde, weist jede Kritik von sich.

Hamburg. An Julians Platz im evangelischen Kindergarten von Delligsen liegen Blumen. Die Kinder hätten ihre eigenen Methoden, um mit dem Verlust ihres Spielkameraden umzugehen, sagt Pfarrer Bernhard Knoblauch. "Julian ist jetzt bei Gott im Himmel" hätten die Kinder zu ihm gesagt. Und: "Julian guckt uns von oben zu."

Die Trauer über den Tod des fünfjährigen Julian ist allgegenwärtig im südniedersächsischen Ort Delligsen. Der 26 Jahre alte Freund seiner Mutter soll den Jungen am Dienstag stundenlang misshandelt haben. Julian starb an zahlreichen inneren Verletzungen. Die Mutter war zur Tatzeit mit Julians dreijährigem Bruder ins Krankenhaus gefahren. Als die 28-Jährige zurückkehrte, war Julian verschwunden.

Die Leiche des kleinen Jungen war schrecklich zugerichtet

Am Mittwoch fand die Polizei seine mit Wunden übersäte Leiche, in einer Garage des Elternhauses, zwischen Abfallsäcken und Müll. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Hildesheim, Bernd Seemann, sagte später, er habe nie zuvor eine vergleichbar schrecklich zugerichtete Leiche gesehen. Der drogenabhängige Lebensgefährte der Mutter gestand die Tat. Der Junge habe ihn "provoziert" und "zur Weißglut gebracht", sagte er den Ermittlern.

Die Stimme von Andreas Kopp stockt. Er sucht nach Worten. Er sagt Sätze wie: "Es ist die Aufgabe der Jugendämter, Kinder zu schützen." Andreas Kopp ist der Leiter des Jugendamts im Kreis Holzminden. Kopp und seinen 50 Mitarbeitern ist es nicht gelungen, Julian vor dem Freund seiner Mutter zu beschützen. Und das, obwohl die Behörde achtmal Kontakt zu Julians Familie hatte, zuletzt am 10. August, eine Woche vor Julians Tod.

Kopp will sich rechtfertigen gegen den Vorwurf, der jetzt im Ort laut wird. Diesen Vorwurf: Das Jugendamt hat versagt. "Es war keine Gefährdung der Kinder festzustellen", sagt Kopp leise. Am Freitag hat er seine Mitarbeiter zusammengerufen, sie haben den Fall Julian noch einmal in allen Einzelheiten durchgesprochen. Das Ergebnis: "Wir haben in dieser Angelegenheit alles getan, was wir tun konnten", sagt Kopp. Julians leibliche Eltern hatten sich nach ihrer Trennung seit April im Jugendamt beraten lassen. Es ging um das Besuchsrecht für Julian und seine beiden Brüder. "Wir haben im Mai einen unangemeldeten Hausbesuch bei der Familie gemacht. Wir haben uns mit allen Kindern auseinandergesetzt, da war keine Kindeswohlgefährdung festzustellen", sagt Kopp.

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Zu einer Beratung am 23. Juni habe Julians Mutter auch ihren neuen Lebensgefährten mitgebracht. Auch da sei den Mitarbeitern nichts aufgefallen, was auf eine Gefährdung der Kinder hindeuten könnte. Gegen den Mann hätte ja auch nichts vorgelegen, von Drogenproblemen habe man nichts gewusst. Erst im Nachhinein hätten sie gehört, dass der 26-Jährige aufbrausend und rabiat gewesen ist.

"Das Jugendamt hat keine Macht, Sicherheitsüberprüfungen von neuen Partnern durchzuführen. Warum haben diese Menschen, die sich jetzt äußern, sich nicht bei uns gemeldet?" Kopp klingt verzweifelt. Wenn es durch den neuen Partner von Julians Mutter zu einer Verschlechterung der Situation der Kinder gekommen ist - warum habe der Vater der Kinder nichts gesagt? Warum hätten Nachbarn geschwiegen? "Wir können doch keinen grundsätzlichen Generalverdacht erheben." Auf eine schlechte Versorgung der Kinder hätte nichts hingedeutet, in der Beratung beim Jugendamt sei es ausschließlich um die Besuchsregelung der leiblichen Eltern gegangen. Kopp appelliert an die Bevölkerung: "Die Bürger sollten sofort zur Polizei gehen, wenn sie sehen, dass das Wohl von Kindern gefährdet ist."

Seit neuneinhalb Jahren leitet der heute 49-Jährige das Holzmindener Jugendamt. "Es ist eine schöne Aufgabe, für Kinder und Familien da zu sein", sagt er. "Aber in solchen Situationen ist es eine ganz schlimme Aufgabe. Im Zuge solch einer Tragödie gehen die guten Ergebnisse, die man erzielt, unter."

Das Jugendamt sieht sich zu Unrecht an den Pranger gestellt

Über das Kindeswohl zu wachen ist heikel - erst in der vergangenen Woche habe eine Mitarbeiterin eine Anzeige wegen falscher Verdächtigungen bekommen, als sie einem Hinweis auf Kindesmisshandlung nachgegangen sei. Schuldig fühlt sich Kopp nicht. Er sagt, seine Mitarbeiter hätten keine Fehler gemacht. Er sieht sich zu Unrecht am Pranger. Er sei der Sündenbock, obwohl Menschen im Umfeld von Julian Hilfe unterlassen hätten, sagt er.

Das Jugendamt wird bald entscheiden müssen, wo Julians Brüder künftig leben sollen. Im Moment sind sie bei Verwandten untergebracht, obwohl die Mutter an der Tat offenbar nicht beteilkigt war. Julians mutmaßlicher Mörder soll im Zuge der Ermittlungen auch psychiatrisch begutachtet werden. Den Termin der Trauerfeier für Julian will die Familie am Montag bekannt geben.