60 Bewohner wurden ausgebildet, um medizinische Ersthilfe leisten zu können. Der Grund dafür: Hier gibt es keinen Arzt.

Hallig Langeneß. Patrick Andresen ist kein Mann vieler Worte. Auch keiner, der sich gern in den Mittelpunkt stellt. Aber jetzt sind seine Ansagen klar, alle hören auf sein Kommando: Die Feuerwehrleute und die Hallig-Retter von Langeneß, die er zu Hilfe gerufen hat. Louise Duhan, die seit acht Wochen als Au-pair auf der Hallig lebt, ist unter ein Auto geraten. Eine "Beckenfraktur", diagnostiziert Gemeindepfleger Andresen bei der 19-jährigen Französin und gibt Anweisungen: "Sie muss eine Infusion bekommen und dann auf die Vakuummatratze." Honke Johannsen, Wehrführer der Freiwilligen Feuerwehr, und sein Kollege Heinz Paulsen, kommen mit der Schaufeltrage, um die junge Frau zu bergen. "Keine Gaffer hier", ruft Einsatzleiter Andresen einem Ehepaar zu und fordert es auf, weiterzugehen.

Nonke Petersen, 15, hat es scheinbar noch schlimmer erwischt als Louise: "Sie ist vom Auto erfasst worden, kein Lebenszeichen mehr", stellt Andresen fest. Zum Glück ist das alles nur das Szenario einer für Hallig-Verhältnisse groß angelegten Rettungsübung. "Wir müssen solche Notfälle üben, damit im Ernstfall alles klappt", sagt der Einsatzleiter.

Wer auf den Halligen lebt, kann nicht mal eben den Arzt rufen, wenn es ihm plötzlich schlecht geht. Es gibt keinen. "Alle zwei Wochen kommt ein Arzt von Föhr rüber und hält bei uns eine Sprechstunde ab", sagt der 35 Jahre alte Krankenpfleger Andresen, der seit Februar 2008 als Gemeindepfleger auf Langeneß tätig ist. "Der Arzt kommt mit dem Ausflugsschiff, und dann hat er zwei Stunden Zeit." Andresen, der selbst in der Gemeindepflegestation Sprechstunden abhält, macht dann den Arzthelfer.

Die 110 Bewohner der Hallig Langeneß sowie die der anderen bewohnten Halligen brauchen in akuten Notfällen aber schnelle Hilfe. Gerade nachts oder bei extremen Wetterlagen können die Rettungshubschrauber vom Festland nicht einfach kommen, auch der Seenot-Rettungskreuzer ist nicht so schnell an Ort und Stelle. Und der Lorendamm, der über die Hallig Oland aufs Festland führt, ist bei Hochwasser überspült.

Für diese Notfälle wurde das Projekt der Hallig-Retter entwickelt. "Es geht darum, sofort helfen zu können", sagt Christian Wehr, Fachdienstleiter Rettungswesen beim Kreis Nordfriesland. "Ziel war es, eine möglichst kompetente medizinische Laienhilfe direkt auf den Halligen zu installieren. Diese Ersthelfer sollen die Wartezeit des Patienten auf den Hubschrauber oder den Seenotkreuzer mit sinnvollen und rettenden medizinischen Hilfsmaßnahmen überbrücken."

Auch wenn Land unter ist und die 18 bewohnten Warften auf sich gestellt sind, hat es sich als Vorteil erwiesen, dass auf fast allen ein ausgebildeter Hallig-Retter lebt. "Wir müssen hier zusammenhalten, wir leben nun mal auf einer kleinen Hallig", sagt Retter Melf Boysen, 29, der auf Langeneß geboren wurde und hier auch nicht weg möchte.

20 Hallig-Retter gibt es mittlerweile auf Langeneß, weitere 40 auf den Halligen Oland, Hooge, Gröde und Nordstrandischmoor. 50 000 Euro haben sich der Kreis und das schleswig-holsteinische Sozialministerium das Projekt kosten lassen.

"Alle Teilnehmer hatten Kurse in Erster Hilfe mit zusätzlichen Komponenten der Sanitätsausbildungen", so Christian Wehr. Zudem wurden die Halligen mit medizinischen Notfallausrüstungen ausgestattet. Regelmäßige Nachschulungen halten das Wissen bei den Rettern präsent.

Für Patrick Andresen bedeutet die Unterstützung durch die Hallig-Retter eine enorme Erleichterung: "Zum Beispiel, wenn man jemanden auf die Trage legen muss, ich muss ja auch telefonieren, wenn wir einen Hubschrauber brauchen."

Obwohl es nicht viel Autoverkehr gibt, kommt es auf den schmalen Straßen der Hallig immer wieder zu Verkehrsunfällen. "Viele Urlauber, die hier auf das Fahrrad steigen, sind ungeübt. Auf dem Festland fahren sie nicht, aber hier." Auch akute Herz-Kreislauf-Probleme oder Atemstörungen treffen Gäste häufiger als Einheimische. Dabei ist Andresen, der auch Rettungsassistent ist, Folgendes aufgefallen.

"Die Hallig-Bewohner rufen uns meistens tagsüber an, die Anrufe nachts kommen meistens von den Urlaubern. So wie kürzlich, da hatten wir einen Verdacht auf Herzinfarkt." Mit einem Schnelltest konnten er und die angeforderten Hallig-Retter den Verdacht ausschließen.

"Die Gäste wissen, es gibt hier keinen Arzt, und sie kommen nur schwer weg", sagt der Gemeindepfleger. Zum Einsatz wird immer derjenige gerufen, der am nächsten wohnt. "Da kriegt man schon einen Adrenalinstoß", sagt Hallig-Retterin Iris Dammann, die zu den Ersten gehörte, die sich ausbilden ließen. "Es war mir wichtig mitzumachen, auch weil ich selbst Kinder habe", sagt die Kindergärtnerin.

Auch Patrick Andresen ist von der Bedeutung der Hallig-Retter zutiefst überzeugt: "Die Menschen bekommen im Notfall das Gefühl, dass sie schnell Hilfe bekommen."