Zehn Jahre nach der Eröffnung rotten die Überbleibsel der Weltausstellung auf dem Gelände in Hannover vor sich hin.

Hannover. So würde es wohl aussehen, wenn die Menschen von heute auf morgen weg wären von der Erde: Die großen Gebäude, die die Expo-Plaza in Hannover säumen, alle noch leidlich intakt, die Bäume grün, und Unkraut frisst sich unaufhaltsam durch die Spalten der Bodenplatten - keine Menschenseele zu sehen. Doch nein, da sitzt Dieter Gebhardt einsam vor einer der zahllosen gleichförmigen Glasfassaden. Der Pensionär wartet hier jeden Sonntag von 11 bis 16 Uhr, schließlich ist das die einzige Öffnungszeit des Exposeums. Gebhardt ist der Vorstand des Museumsvereins, dessen 312 Mitglieder sich viel Mühe geben, damit die Weltausstellung Expo 2000 in Hannover nicht ganz vergessen wird.

TUI-Arena, Deutscher Pavillon und Bürogebäude an den Flanken, Museumsmann Gebhardt schaut sich traurig um: "Es ist alles da außer Menschen." Ein Euro beträgt der Eintritt, Kaffee und selbstgebackener Kuchen inklusive. Zu sehen gibt es ein Modell des 170 Hektar großen Ausstellungsgeländes, Gastgeschenke der Teilnehmer, Filme über das Treiben im Sommer 2000, als sich 155 Nationen präsentierten und 18 Millionen Besucher kamen.

An der Expo-Plaza herrscht wenigstens die Woche über buntes Treiben, hier wurden Schulen und Hochschulen angesiedelt. Aber abends ab 19 Uhr? Leere. Noch schlimmer aber ist es, wenn man weiterschlendert. Gerade haben Bagger den norwegischen Pavillon platt gemacht, er war wegen des Wasserfalls an der Stirnwand ein Hingucker. Viele Pavillons hat längst dieses Schicksal ereilt, auch den orientalischen Palast. Andere Gebäude wurden umgenutzt, da arbeiten jetzt Architekten, Versicherungsunternehmen, Messebauer. Der spektakuläre niederländische Auftritt, mehrere übereinander getürmte, insgesamt 40 Meter hohe Plattformen mit Gartenlandschaften, rottet vor sich hin.

Mal ein Stück gepflegter Rasen, mal Wildwuchs, mal Verfall und dann wieder ein Neubau: Zehn Jahre nach der Expo kann man mit Händen greifen, dass auch diese Rechnung der Expo-Macher nicht aufgegangen ist. Sie waren sich sicher, dass ihnen das Gelände aus den Händen gerissen würde als Zentrum für Informationstechnologie. Jetzt hat die Stadt in der Not sogar den üblichen Ikea-Riesenwürfel zugelassen, ein anderes Möbelhaus denkt über den Standort nach. Nur ganz am Ende des Geländes wohnt noch Hoffnung: Der Wal ist das christliche Begegnungszentrum der Expo gewesen und wird gepflegt, hier finden regelmäßig Veranstaltungen der Kirchen statt. Einige Jungen haben die Betonarchitektur der Flaniermeile für das Skateboarden entdeckt, so gibt es wenigstens einen Flecken mit Leben in einem Umfeld wie eine Filmkulisse.

Da passt es, dass die städtische Expo-Grund mit einem Zitat des Regisseurs Federico Fellini die Grundstücke anpreist: "Der einzig wahre Realist ist der Visionär."

Vision war auch im Spiel, als sich Hannover 1990 um die Weltausstellung bewarb. Es sollte die erste Expo ganz im Zeichen von Nachhaltigkeit werden, unter dem Motto "Mensch - Natur - Technik". Bei der entscheidenden Abstimmung am 14. Juni 1990 in Paris machte Hannover mit einer Stimme Mehrheit das Rennen. Danach flossen rund 4,2 Milliarden Mark in die Region für Schienenwege, Straßen, einen neuen Stadtteil und die Expo-Inhalte.

Typisch hannöversch: Statt sich zu freuen über so viel Geld und Chancen, gerieten sich die Parteien umgehend in die Haare über die Frage, ob sie die Expo überhaupt wollten. 1993 entschied sich bei einer Urabstimmung in der Landeshauptstadt nur eine hauchdünne Mehrheit von 51,5 Prozent der Bürger für die erste Weltausstellung auf deutschem Boden. Die Republik schüttelte den Kopf, Politik und Publikum blieben auf Distanz. Für die Fußballweltmeisterschaft gab es einen Mehrwertsteuerlass, die Expo musste zahlen. Expo-Generalsekretärin Birgit Breuel sagte dazu Ende Oktober 2000 in der Rückschau bitter: "Wir waren ein Waisenkind."

Hinzu kam die Dauerdiskussion um die Lebenslüge der Expo: Die Weltausstellung sollte die Steuerzahler keinen Pfennig kosten, durch Beteiligung der Wirtschaft und Ticketverkauf eine schwarze Null schreiben. Dafür hätten 40 Millionen Gäste kommen müssen, mehr als 260 000 pro Tag. Anfangs aber verloren sich nur wenige tausend Menschen auf dem Gelände. Kehrseite der Medaille: Die Schlangen blieben erträglich, Hoteliers mit Mondpreisen kamen ebenso auf dem Boden der Realität an wie Würstchenverkäufer und Zeitarbeitsfirmen, die fürs Personal auf dem Gelände sorgten. Letztlich blieb die Bundesrepublik Deutschland bei direkten Kosten der Expo von 3,5 Milliarden auf 2,4 Milliarden Mark Minus sitzen.

Aber die Museumsmacher an der Expo-Plaza rechnen und erinnern sich anders: Das Jahr 2000 bescherte Deutschland einen Traumsommer, und die Expo-Organisatoren unter Generalkommissarin Breuel hatten gute Arbeit geleistet. Es gab anspruchsvolle Projekte vom Klimaschutz über die Müllproblematik bis zum Schutz des Wassers.

Helga Meier im Exposeum schenkt nicht nur Kaffee aus, sie kann sich auch erinnern an 18 Millionen zufriedene Gäste. Kürzlich kamen Reporter aus China und haben sich vor der Eröffnung der Weltausstellung in Shanghai ganz genau erzählen lassen, wie schön es damals in Hannover gewesen ist.