Beim Aufstellen der Technik verstoßen Behörden und Firmen oft gegen Vorschriften. Blicke der Polizei in Wohnungen und Arztpraxen sind möglich.

Hannover. Joachim Wahlbrink hat einen schmerzlichen Selbstversuch gemacht. Der niedersächsische Datenschutzbeauftragte kam in einer kaum 300 Meter langen Fußgängerzone in Hannover auf "grob geschätzt" 500 Videokameras auf der Straße und in den Geschäften. Seine Diagnose lautet: "Das ist eine Seuche, es bleibt immer weniger Raum für ein unbeobachtetes Leben."

Diese Warnung zieht sich wie ein roter Faden durch den am Freitag von Wahlbrink vorgelegten Jahresbericht. Was den Datenschutzbeauftragten besonders ärgert: Es sind nicht nur Firmen, sondern auch Behörden wie die Polizei, die immer mehr Kameras aufstellen und dabei eindeutig gegen den Datenschutz verstoßen. So haben beispielsweise viele Polizeikameras auf öffentlichen Plätzen starke Zooms und sind rundum schwenkbar, so dass damit theoretisch auch Arztpraxen oder Privatwohnungen ausgespäht werden könnten. Bereits vor Monaten hat er deshalb Ministerien, Gerichte und Justizvollzugsanstalten, aber auch Kreise und Kommunen angeschrieben, um zu prüfen, ob die Bestimmungen eingehalten werden. Ausgerechnet das Justizministerium vergaß dann, die Fragen für die Gefängnisse zu beantworten, obwohl allein in der neuen Haftanstalt Sehnde bei Hannover rund 200 Kameras montiert wurden.

Eigentlich hatte Wahlbrink die Erhebung geplant, um anschließend den Firmen den öffentlichen Dienst als Vorbild präsentieren zu können. Angesichts der zahlreichen Verstöße ist Wahlbrinks Fazit eindeutig: "Das war ein Schuss in den Ofen." Pikant dabei: Unternehmen droht, wenn sie Datenschutzbestimmungen nicht beachten, ein Bußgeld, bei Behörden ist dies dagegen nicht vorgesehen. Es sind aber nicht nur die Videokameras, die nach seiner Einschätzung die Menschen immer gläserner machen: "Das Handy wird zu einem Bewegungsmelder, der die Position auf einer Internetplattform zur Verfügung stellt." Ein Dorn im Auge ist ihm beim sogenannten Tracking vor allem die Möglichkeit von neuen "Dienstleistungsangeboten", die der heimlichen Überwachung von Personen dienen. So können eifersüchtige Frauen oder Männer beispielsweise das Handy des Partners oder der Partnerin manipulieren und danach dessen Bewegungen nahezu lückenlos nachvollziehen. Schließlich sind Handys immer mit Funkstationen verbunden, und das erlaubt eine genaue Zuordnung, wer wann wo war. Ein Problem aus seiner Sicht ist auch, dass immer mehr Jugendliche sich vernetzen, ohne für die Nachteile einer solchen Dauerüberwachung sensibilisiert zu sein.

"Mit Sorge" betrachtet Wahlbrink auch die Situation insgesamt: "Wir haben alle zwei Tage einen neuen Skandal." Ob nun ein Finanzbeamter im Rathaus von Hannover einen USB-Stick mit sensiblen Steuerdaten verliert, Kundendaten von Banken in Internet-Netzwerken verfügbar sind oder heimlich die Pausenräume von Ladenketten gefilmt werden, für Wahlbrink "ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht". Firmen und Behörden mahnt Wahlbrink gleichermaßen, endlich "das ungebremste Anhäufen von Daten auf den Prüfstand zu stellen". Die entsprechenden Kontrollen will seine Behörde noch intensivieren, wenn sie denn ihr größtes Problem gelöst hat. Zwar gibt es zusätzliche Stellen, aber zu wenig qualifiziertes Personal: "Ohne technisch versierte Experten sehen wir bei Firmenkontrollen alt aus." Wahlbrink hofft zudem, dass der Europäische Gerichtshof bald den deutschen Gesetzgeber zwingt, die Unabhängigkeit der Datenschützer zu stärken.

Auf den Gesetzgeber setzt auch der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert. Er forderte am Freitag vor dem Altenparlament in Kiel, vor allem Senioren besser vor Datenmissbrauch und leichtfertigen Vertragsabschlüssen zu schützen. Die lassen sich auch am Telefon leicht überrumpeln. Abhilfe, so Weichert, könne man dadurch schaffen, dass solche telefonisch abgeschlossenen Verträge schriftlich per Post bestätigt werden müssen, um Rechtssicherheit zu schaffen.