Ein Mix aus Steinen und dem Klebstoff Polyurethan kann Maßstäbe im Kampf gegen Folgen des Klimawandels setzen.

Hamburg. Auf den ersten Blick wirken die Bauarbeiten am Sylter Ellenbogen nahe List wie gewöhnliche Küstenschutzmaßnahmen - ein Radlader schüttet in der Gezeitenzone Steine auf. Doch dahinter steht ein wissenschaftliches Projekt, das in wenigen Jahren an der deutschen Küste Maßstäbe setzen könnte. Ingenieure der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH) erproben hier eine neue Konstruktion zum Schutz der Düne. Sie ummantelten Steine kurz vor dem Abladen mit Polyurethan. Der Kunststoff härtet am Ort aus und verklebt dabei die Eisensilikat-Steine. Es entsteht ein sehr stabiler und gleichzeitig poröser Wall, der die ansteigenden Fluten dämpfen soll, die aufgrund des Klimawandels zu erwarten sind.

"Wir haben uns für den Feldtest einen extremen Standort gesucht, an dem der Baustoff besonders stark belastet ist", sagt Frederik Treuel, der dem neuen Material seine Diplomarbeit widmete. Das Deckwerk vereine die Vorteile der herkömmlichen Techniken, ergänzt Projektleiterin Prof. Nicole von Lieberman: "Lose Schüttungen haben viele Poren und können deshalb die Seegangsenergie gut abfangen. Aber sie werden gleichzeitig leicht erodiert. Zur Abhilfe werden die Steine mit Beton vergossen. Doch diese Konstruktion ist starr und damit sehr empfindlich gegen Sackungen. Und wenn sich Lecks bilden, kann das einströmende Wasser die Deckschicht sprengen."

Die Hamburger Steine (schwere Eisensilikate, die bei der Kupferverarbeitung im Unternehmen Aurubis auf der Peute anfallen) im Kunststoffmantel lassen dagegen das Wasser problemlos durch die vielen Poren strömen und liegen - dank des Klebstoffs Polyurethan (PU) - trotzdem stabil. Lieberman: "Selbst wenn irgendwo ein Loch gerissen wird, kann dies leicht mit Material geflickt werden. Dagegen muss bei anderen Deckwerken die gesamte Konstruktion erneuert werden."

Im Gegensatz zu den zementierten Küsten-Bollwerken bietet das schwammige Äußere der Harburger Leichtbau-Variante vielen Meeresbewohnern einen Lebensraum, so Treuel: "Auf unserem ersten, etwa 200 Quadratmeter großen Testfeld am Meeressaum siedeln inzwischen Muscheln, Schnecken, Algen." Sie bekommen jetzt noch mehr Lebensraum: Gestern rollten die ersten Steine auf ein zweites Testfeld in gleicher Größe. Gebettet auf einer Vliesunterlage, die die Bauarbeiter zuvor in den Sand setzten. Und auf der Binnenseite entsteht eine dritte Fläche, die die über den Wall schlagenden Wellen zusätzlich davon abhalten soll, auf ihrem Rückzug ins Meer den kostbaren Sylter Sand mitzunehmen.

Sylt in Zahlen und Fakten

Der Mini-Deich ruht auf einer mit Holzpfählen stabilisierten Unterlage und wird später bei jeder Flut planmäßig überströmt. In dieser und der nächsten Woche wird er errichtet, immer nach demselben Rezept: Man vermische den Zweikomponentenkleber PU mit den Eisensilikatsteinen im Verhältnis drei Volumenprozent PU und 97 Prozent Steine, rühre das Ganze einige Minuten kräftig um, bis die Steine vollständig benetzt wird. Dann schütte man das Gemisch schleunigst an seinen Platz, denn es kann nur 20 Minuten lang verarbeitet werden; danach ist der Kleber bereits zu stark ausgehärtet. Er erinnert an Pattex, bildet einen Überzug, der die Steine nass aussehen lässt. Wer das Ambiente gern etwas naturnäher hätte, kann bei der Aufschüttung eine Prise Sand auf die Oberfläche streuen. Der bleibt dann an den Steinen kleben.

Der neue Strandwall sei eher preiswerter als die bisherigen technischen Lösungen, betont Frederik Treuel. "Die 400 Quadratmeter große Fläche wird etwa 50 000 bis 55 000 Euro kosten. Dabei sind nicht die Materialien teuer, sondern ihr Transport an den Bauplatz - aus dieser Sicht ist der Sylter Ellenbogen alles andere als optimal." Ein Kostenvorteil ergebe sich, weil die Harburger Deckschicht mit 20 bis 25 Zentimetern nur etwa halb so dick sein muss wie die herkömmlichen Baustoffe. Deshalb muss weniger Material herangeschafft werden. Zudem sei es haltbarer und leichter auszubessern.

Ist das Testfeld erst einmal komplett, geht die Arbeit für Treuel und dessen Kollegen erst richtig los: "Wir werden bis zum Projektende im Jahr 2014 den Seegang erfassen, mit im Deckwerk installierten Sonden dessen Belastung messen, mit optischen Verfahren die Oberfläche kontrollieren." Innerhalb von fünf Jahren, so schätzt Prof. Lieberman, könnte dem Harburger Küstenschutz der Schritt von der wissenschaftlichen Erprobung zum Stand der Technik gelingen. "Dann haben wir Bemessungsformeln für die Konstruktion, die unser Verfahren anwendbar machen. Erst dann kann es in den Schutzplänen der Küstenländer verankert werden."

Die Harburger Entwicklung kommt gerade zur rechten Zeit. Lieberman: "Der Klimawandel brennt den Küstenschützern allmählich unter den Nägeln, doch derzeit hat man noch keine guten Antworten darauf."