Wenn die Umfragen stimmen, könnte die Zahl der Abgeordneten im Kieler Landtag von derzeit 69 auf mehr als 90 steigen.

Kiel. Schleswig-Holstein droht nach der Landtagswahl ein Mammut-Parlament. Nach Berechnungen von Landtagspräsident Martin Kayenburg (CDU) könnte die Zahl der Abgeordneten in Kiel von derzeit 69 auf mehr als 90 steigen. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Karl-Martin Hentschel, hält sogar ein Parlament mit mehr als 100 Landespolitikern für möglich.

Grund für die wundersame Vermehrung der Volksvertreter ist das besondere Wahlrecht in Schleswig-Holstein. Es sieht anders als etwa bei der Bundestagswahl nicht nur Überhangmandate vor, sondern im Gegenzug auch Ausgleichsmandate (siehe Kasten).

Die Rechnungen von Kayenburg und Hentschel basieren auf Wahlprognosen. Demnach könnte die CDU (etwa 35 Prozent) am Wahlabend so deutlich vor der SPD (etwa 24 Prozent) liegen, dass sie 35 der landesweit 40 Wahlkreise (bis auf Kiel und Lübeck) direkt gewinnt. Mit gut einem Drittel der Stimmen ständen der CDU aber eigentlich nur 23 der 69 Landtagsmandate zu. Folge: Die CDU bekäme zwölf Überhangmandate. Die anderen Parteien erhielten ebenso viele Ausgleichsmandate.

Bei dieser Variante kämen 93 Abgeordnete in den nächsten Landtag, sagte Kayenburg dem Abendblatt. "Ich halte das nach heutigem Stand für realistisch." Der Diplom-Mathematiker Hentschel rechnet ähnlich, in einem entscheidenden Punkt aber anders. Der Grüne geht davon aus, dass bei zwölf CDU-Überhangmandaten bis zu 24 Ausgleichsmandate fällig werden könnten. "Im Extremfall sitzen dann bis zu 105 Abgeordnete im Landtag", sagte Hentschel.

Klar ist, wer die Zeche zahlt - der Steuerbürger. Jeder Abgeordnete kostet konservativ geschätzt 125 000 Euro im Jahr. Ein Landtag mit 93 Politikern würde damit jährlich drei Millionen Euro teurer als heute, einer mit 105 Abgeordneten sogar 4,5 Millionen Euro. Im Landeshaus wird deshalb erwartet, dass im Fall eines Mega-Parlaments die Debatte über eine Reform des Wahlrechts nicht lange auf sich warten lässt.

Der Systemfehler in den Wahlregelungen ist bekannt. Es ist die hohe Zahl von 40 Wahlkreisen, die Überhang- und damit Ausgleichsmandate provoziert. Bei der letzten Reform hatten die Grünen deshalb dafür gekämpft, das Land in nur 35 Wahlkreise aufzuteilen. CDU und SPD lehnten dies ab. Offiziell, weil ein Abgeordneter sich sonst um zu viele Bürger kümmern müsste. Inoffiziell, weil die beiden Volksparteien die Wahlkreismandate unter sich ausmachen und so mehr Direktkandidaten ins Parlament bringen können.

"Ich bin sicher, dass der Landtag gegebenenfalls noch mal über den Zuschnitt und die Zahl der Wahlkreise beraten wird", sagte Kayenburg, und Hentschel stimmt zu. Sorgen macht den zwei Vollblutpolitikern das Wahlrecht aber auch aus einem anderen Grund. Die Regelungen sind in wichtigen Passagen so umstritten, dass im schlimmsten Fall die Gerichte das letzte Wort haben. Kayenburg erinnert an den SSW, der als Partei der dänischen Minderheit landesweit antritt, aber nicht unter die Fünf-Prozent-Sperrklausel fällt. "Was passiert eigentlich, wenn eine andere Partei mehr Stimmen als der SSW, aber weniger als fünf Prozent bekommt?", fragt Kayenburg und gibt selbst die Antwort. Diese Partei wäre anders als der SSW nicht im Landtag vertreten und könnte vor Gericht ziehen.