Die Rückkehr ins normale Leben dauert manchmal Jahre. 115 Fälle hat das Team der Aussteigerhilfe bearbeitet, mehr als 40 mit Erfolg.

Hannover. Der Name Stefan ist erfunden, ihn zu fotografieren ist nicht gestattet. Denn Stefan ist ein rotes Tuch für gewalttätige Rechtsextremisten in Niedersachsen. Er leitet die AussteigerhilfeRechts, die jungen Rechtsradikalen hilft, den Weg in die bürgerliche Gesellschaft zurückzufinden.

Die Einrichtung ist Teil des niedersächsischen Justizministeriums. Ressortchef Bernd Busemann (CDU) stellte Stefan gestern der Presse in Hannover vor. Der 39 Jahre alte Diplom-Sozialpädagoge nahm kein Blatt vor den Mund: "Wir arbeiten mit Leidensdruck." Kein Neonazi wird angesprochen. Die meist jungen Männer müssen über eine Hotline, übers Internet, per E-Mail oder Post von sich aus Kontakt mit den Ausstiegshelfern aufnehmen, wenn ihnen ihr Leben in der rechtsextremistischen Szene unerträglich wird. Dann gibt es Hilfen, aber auch eine kritische Auseinandersetzung mit der Nazi-Ideologie. Manchmal reichen einige Monate aus, um den jungen "Klienten" zur Rückkehr in ein normales Leben zu verhelfen.

Das kann Jahre dauern. Es geht dann um nachzuholende Hauptschulabschlüsse, um Jobs und häufig um einen neuen Wohnsitz. Wenn der potenzielle Rückkehrer ein hochrangiger Funktionär war, über viel Wissen über die jeweilige Organisation verfügt, dann kommt auch die Polizei ins Spiel, um die Aussteiger, aber auch die Sozialpädagogen zu schützen.

Etwa 115 Fälle hat das Team der "AussteigerhilfeRechts" in den vergangenen Jahren bearbeitet, mehr als 40 mit Erfolg. Stefan hat dabei auch einen jungen Mann kennengelernt, dem der Großvater - ein ehemaliger SS-Mann - schon als kleines Kind Rassenhass und Führerwahn gepredigt hat. Der Normalfall aber ist nicht ideologische Verblendung: "Die wenigsten wollten Nazis werden." Es sind meist Jungen mit Sprachfehlern, Asthma oder körperlichen Defiziten, schon in der Schule zu geborenen Verlierer abgestempelt, gehänselt, gedemütigt, meist aus bildungsfernen Familien: "Die kriegen ständig zu hören: Du bist nichts wert." Ihnen bieten dann die extremistischen Gruppen gezielt, was sie suchen: "Anerkennung, Zugehörigkeit und Wertschätzung." Stefans Erfahrung: "Für diesen Familienersatz, tun sie im Gegenzug, was von ihnen erwartet wird, Parolen grölen und Menschen verprügeln."

Wichtigster Grund, sich auf den Rückweg zu machen, ist nach Stefans Erfahrung die Freundin, die ein Ultimatum stellt. Aber auch regelmäßige Gefängnisaufenthalte können Leidensdruck erzeugen. Weswegen Justizminister Busemann gemeinsam mit einer breiten Mehrheit seiner Kollegen in den anderen Bundesländern dafür streitet, den Paragrafen 46 des Strafgesetzbuchs zu ändern. Wenn Körperverletzungen aus menschenverachtenden Motiven wie Rassenhass erfolgen, dann sollen auch schärfere Haftstrafen verhängt werden.

Angela Kolb (SPD), Justizministerin aus Sachsen-Anhalt, unterstützte in diesem Punkt gestern Busemann ausdrücklich. In der Vergangenheit, so ihre Erfahrung, seien zuweilen rechtsextremistische Gewalttaten von Gerichten allzu schnell als "Wirtshausprügelei abgetan worden". Niedersachsen und Sachsen-Anhalt wollen künftig im Kampf gegen Rechtsextremismus noch stärker zusammenarbeiten. In jedem der beiden Bundeslänger gibt es 800 gewaltbereite Rechtsextremisten.

Ausstiegsprogramme gibt es in fast allen Bundesländern, einmalig aber ist die Anbindung ans Justizministerium statt an das Landeskriminalamt oder den Verfassungsschutz. Die Aussteiger werden nicht verhört - das macht den ersten Schritt leichter.