Flensburg soll die Universität, das Landestheater und das Gefängnis verlieren. Der Protestschrei hallt bis nach Kiel.

Flensburg/Kiel. Flensburg hat viele Federn lassen müssen. Erst rückte die Bundeswehr aus der Marinestadt ab, dann machte mit Motorola der größte Arbeitgeber in der Region dicht. Morgen gehen die frustrierten Flensburger auf die Straße, um einen Kahlschlag in letzter Minute zu verhindern. Die schwarz-gelbe Koalition in Kiel prüft, ob sie im Zuge ihres Sparkurses die schmucke Universität der Fördestadt abwickelt und sie zu einer reinen Pädagogischen Hochschule (PH) eindampft.

"Die Uni ist für Flensburg von existenzieller Bedeutung", sagte Oberbürgermeister Klaus Tscheuschner dem Abendblatt. "Eine Herabstufung zur Pädagogischen Hochschule würde nicht nur einen Verlust an Image und Innovation bedeuten, sondern auch den Verlust von Studierenden, Kaufkraft und unzähligen Arbeitsplätzen." Das könne die Region nach den Jobverlusten der vergangenen Jahre nicht verkraften. Tscheuschner forderte die Regierung in Kiel deshalb auf, ihre "unsinnigen Überlegungen" einzustellen.

Rückendeckung bekommt der Oberbürgermeister aus der ganzen Stadt. Die Uni-Leitung und die Studenten haben zur Groß-Demo aufgerufen, die Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer (IHK) bekennt sich zur universitären Bildung, und die örtliche Arbeitsagentur wirbt für den Erhalt der Hochschule. "Sie ist für den Arbeitsmarkt wichtig und ein wichtiger Standortfaktor für Flensburg", sagte Agentur-Chefin Martina Würker dem Abendblatt.

Der breite Protest aus Flensburg hat die Landespolitiker in Kiel aufgeschreckt, ebenso wie die Nachricht von der Demo am Donnerstag. "Das wird ein deutliches Signal Richtung Kiel werden", schwant es Wirtschaftsminister Jost de Jager (CDU), der auch für die Hochschulen zuständig ist. "Wir nehmen das Signal auf und ernst." Zusagen machte de Jager nicht. Er verwies vielmehr auf den Mittwoch nächster Woche, an dem das Kabinett die seit Wochen diskutierten Sparmaßnahmen bekannt geben will. Bedroht sind auch das Gefängnis in Flensburg und das Landestheater.

Klar ist, dass CDU und FDP die Hochschullandschaft umpflügen und die Uni Kiel am liebsten zu einer echten Landesuniversität ausbauen möchten. In Flensburg wird nun befürchtet, dass die kleine Uni ihre wirtschaftswissenschaftlichen Studiengänge mit 600 Studenten abgeben muss. Übrig blieben die Studiengänge für 3200 angehende Lehrer und damit eine PH, wie es sie in Flensburg bis in die 90er-Jahre gab. Mit dem Wirtschaftsstudium steht auch eine Flensburger Besonderheit auf der Streichliste. Die Studiengänge werden gemeinsam mit der Syddansk Universitet angeboten, sind also grenzüberschreitend. Ungefährdet scheint die Flensburger Fachhochschule mit 3600 Studenten.

De Jager blockte jede Nachfrage ab, ließ aber keinen Zweifel daran, dass CDU und FDP die Hochschulstruktur im Land verändern wollen. Der Umbau könnte in zwei bis drei Jahren in einem neuen Hochschulgesetz geregelt werden. Betroffen ist dabei neben Flensburg auch Lübeck. Die Lübecker müssen um ihre Medizinstudiengänge und ihren Teil des Uni-Klinikums fürchten. Es wird vom Land betrieben, könnte privatisiert werden.

In Flensburg weiß man um die Sorgen der Lübecker. "Wenn die schwarzgelbe Koalition Schleswig-Holstein so rasiert, schauen am Ende nur noch Kiel und das Hamburger Umland hervor", warnte die Vorsitzende der SSW-Landtagsfraktion, Anke Spoorendonk. In Flensburg würden die Lichter dagegen langsam ausgehen. "Die Stadt ist schwer gebeutelt." In den vergangenen Jahren habe die größte Stadt im Landesteil Schleswig viele harte Einschläge erlebt.

Die Bundeswehr baute seit 1990 mehrere Tausend Dienstposten in Flensburg ab. Für neue Jobs sorgte Motorola. Mehr als 3000 Menschen beschäftigte der Handy-Hersteller in Spitzenzeiten. Vor zwei Jahren wurde das Werk geschlossen. "Einige der früheren Mitarbeiter sind bis heute arbeitslos", berichtete Würker. Nach Motorola kam Danfoss. Der dänische Anlagenbauer kündigte vor einem Jahr an, von 700 Arbeitsplätzen 450 abzubauen.

Ein weiterer Tiefschlag kam aus Dänemark. Im Königreich, in dem 2007 noch 19 000 Grenzpendler Arbeit fanden, wurden infolge der Weltwirtschaftskrise viele Jobs gestrichen. Heute gibt es nur noch 12 000 Grenzpendler. Bittere Folge für Flensburg: In der drittgrößten Stadt des Landes sind von 89 000 Einwohnern 5600 arbeitslos gemeldet. Mit einer Quote von 13,1 Prozent ist Flensburg damit schon vor den Kieler Sparbeschlüssen das Schlusslicht in Schleswig-Holstein.