Hamburg und Lüneburg

„Dosenfutter“ – der furchtlose Sprayer aus Hamburg

| Lesedauer: 4 Minuten
Peer Körner

Jonathan Sachau ist Graffiti-Sprayer aus Leidenschaft. Warum sich niemand an den Werken des Hamburgers stört.

Hamburg/Lüneburg.  Am helllichten Tag sprüht der junge Mann mitten in Lüneburg einen Verteilerkasten an. Bald ist der graue Klotz mit bunten Blumen bedeckt. Der Sprayer nennt sich „Dosenfutter“, die Polizei fürchtet er nicht. Eigentlich heißt er Jonathan Sachau, der 32-Jährige arbeitet im Auftrag der Stadt.

„Dosenfutter“ schmückt Verteilerkästen vor dem Bürgeramt

„Ich liebe Farben, das ist viel schöner als das Grau“, sagt Christa Marchewka. Die alte Dame mit Rollator nutzt den warmen Tag zu einem Spaziergang. Für sie könnten die Farben sogar noch knalliger sein, meint die muntere 90-Jährige. Auch eine junge Fahrradfahrerin mit Sonnenbrille ist begeistert: „Sieht super aus“, ruft sie im Vorbeifahren. Ob er die anderen Kästen auch gemacht habe, fragte eine Fußgängerin. Hat er. So schmückt die Verteilerkästen vor dem Bürgeramt mit seinen roten Backsteinen auch ein ziegelrotes Steinmotiv, in einer Lücke ein Stück Wolkenhimmel.

„Meist ist es mehr Leidenschaft als Arbeit, auch wenn ich davon lebe“, betont Sachau. „Es ist schön, durch die Stadt zu fahren und seine eigenen Bilder zu sehen.“ Er arbeitet gern in Lüneburg, der fröhliche Hüne mit dem Bart hat hier Kunst, Englisch und Deutsch studiert, auf Lehramt - schon das Studium hat er mit Graffiti finanziert. „In der Großstadt wie Hamburg bleiben die Leute nur selten stehen“, sagt er. Ihn reize das Handwerkliche. „Es ist jedes Mal eine Aufgabe, kleine Dinge wie Blumen oder ein Foto ins Große zu übertragen.“ Große Flächen seien für ihn immer am spannendsten, dann sei auch Raum für Details.

Individuelle und langlebige Kunstwerke

Und so verschönert Sachau auch kahle Firmenwände, Garagen, Schulen, Brückenfundamente oder Zäune. Sogar einen Sprungturm in einem Schwimmbad hat er gestaltet, auf schnödem Beton prangt ein gewaltiger Hai. Die Liste seiner Auftraggeber ist lang, die Bandbreite der Motive beeindruckend. Feuerwehrautos gehören dazu, Sprayer und Sportler, Hunde und Eisvögel. Auch Schiffe und Züge hat Sachau schon gesprayt. Er liebt ruhige Landschaften, Städtepanoramen und Sehenswürdigkeiten von der Freiheitsstatue bis zum Lüneburger Rathaus.

Seine Werke seien nicht nur höchst individuell und langlebig, wirbt Sachau. Sie bieten auch Schutz vor ungewollten Graffiti. „Ein Kodex in der Szene besagt, dass man gut gemachte Werke nicht übermalt.“ Über illegale Werke möchte er sonst nicht viel sagen. „Schwieriges Thema“, lächelt er. „Ich komme selber aus der Sprayer-Szene und habe Verständnis für beide Seiten entwickelt“, meint er. „Ich verstehe, wenn Leute sich über manche Sachen ärgern. Ich verstehe aber ebenso, wenn Künstler sich im öffentlichen Raum ausdrücken wollen und es wenig legale Flächen gibt.“ Er rät den Kommunen, solche zur Verfügung zu stellen. „Ein repressiver Umgang hilft gar nicht.“ Und schön sei es eben auch: „Ohne Graffiti wäre das Schanzenviertel in Hamburg nicht so beliebt und aufgewertet“, glaubt Sachau, der in Hamburg lebt und im schleswig-holsteinischen Bad Segeberg aufgewachsen ist - in beiden Städten sind viele Werke von ihm zu bewundern.

Seine Aufträge in Lüneburg bekommt Sachau von Uta Hesebeck, sie ist Fachbereichsleiterin für Straßen- und Ingenieurbau. „Es gibt noch einige Ecken, die wir beackern wollen“, verspricht sie. Vor allem die Haupteinfallstraßen sollten ein wenig bunter werden, die grauen Verteilerkästen den Blick nicht stören. „Die Schränke sind mit den Graffiti fast unsichtbar, weil er es versteht, Elemente aus der jeweiligen Umgebung aufzugreifen“, sagt Hesebeck über Sachau. „Ich stimme die Motive mit ihm ab. Das kann der Wunsch nach Blumen oder eben einem Ziegelstein-Muster sein. Das richtet sich nach dem Ort, so sind wir in der historischen Altstadt zurückhaltender als an den Hauptstraßen.“ Die Blumen auf dem einst öden Kasten gefallen auch ihr: „Ich finde das Ergebnis total schön.“

Den Namen „Dosenfutter“ hat sich Sachau wegen der Spraydosen gegeben. „Ich wollte mich bewusst absetzen“, sagt er. „Es ging mir um eine Domain im Internet, aber Namen wie Graffiti-Auftrag waren schon vergeben.“ Lehrer möchte er nicht werden. „Das Pädagogische nutze ich bei Workshops mit Kindern und Jugendlichen“, sagt Sachau. „Ich sehe meine Zukunft eher im künstlerischen Bereich.“