Sieben Wochen vor der Landtagswahl am 20. Januar in Niedersachsen liegt Rot-Grün vor der regierenden CDU/FDP- Koalition.

Hannover. Am Mittwoch kommt der Niedersächsische Landtag in Hannover zu seiner letzten Plenartagung vor der Landtagswahl am 20. Januar zusammen. Es wird noch einmal heftig gestritten werden - die potenziellen Wähler fest im Blick. Aber es wird auch viel Wehmut geben und Angst um die weitere Politikkarriere: Viele profilierte Parlamentarier wie Hartmut Möllring und Hermann Dinkla von der CDU und Wolfgang Jüttner und Dieter Möhrmann von der SPD sagen freiwillig Tschüs, aber die Umfragen lassen erwarten, dass es nur wenige Überhangmandate geben wird mit der Folge, dass der neue Landtag nicht erneut 152, sondern deutlich weniger Sitze haben wird.

87 Abgeordnete werden direkt in den Wahlkreisen gewählt, 48 weitere Politiker kommen über die Landeslisten hinzu. Im Regelfall also hat das Parlament 135 Sitze. Weil aber die CDU 2008 deutlich mehr Direktmandate erhielt als ihrem Zweitstimmenergebnis entsprach, kam es zu insgesamt 17 Überhang- und Ausgleichsmandaten. Dieses Mal aber ist der Abstand zwischen CDU und SPD deutlich geringer: In einer aktuellen Umfrage erreicht die CDU 41 Prozent (nach 42,5 Prozent im Jahr 2008), die SPD 34 Prozent (2008: 30,3), die FDP drei Prozent (8,2), die Grünen 13 Prozent (acht), die Linke drei Prozent (7,1). Und auch die erstmals vertretenen Piraten schaffen laut Umfrage mit ebenfalls nur drei Prozent den Sprung über die Fünfprozenthürde nicht.

Elf Parteien treten an - und damit weniger als vor fünf Jahren

Abstimmen können am 20. Januar rund 6,2 Millionen Wahlberechtigte vom 18. Lebensjahr an. 249 000 der Wahlberechtigten sind unter 20 Jahre alt, also Jungwähler. Rund 83 000 meist ehrenamtliche Wahlhelfer werden gebraucht, um die Wahllokale zu besetzen und anschließend die Stimmen auszuzählen und an Landeswahlleiterin Ulrike Sachs und ihr Team im Innenministerium zu melden. Für die 53-jährige Juristin und Sozialpädagogin ist es die erste Wahl in dieser Funktion. Da ist die Devise klar: "Ich möchte erst einmal dafür sorgen, dass alle verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Wahl erfüllt werden." Andererseits ist der Job als Landeswahlleiterin allemal spannender als ihre sonstigen Aufgaben: Sie beschäftigt sich mit Feiertags- und Melderecht.

Als Wahlleiterin Sachs im Oktober verkündete, 23 Parteien hätten Interesse an der Wahlteilnahme angemeldet, gab es beträchtliche Unruhe bei den Kreiswahlleitern wegen der rekordverdächtig langen notwendigen Wahlzettel. Im Laufe des Prüfungsverfahrens aber schrumpfte die Zahl und vor Wochenfrist stand fest: Elf Parteien konkurrieren um die beiden Stimmen der Wahlberechtigten und damit weniger als vor fünf Jahren.

Mit Spannung wird die Wahlbeteiligung erwartet. Der Urnengang in Niedersachsen gilt als Test für die Bundestagswahl im September kommenden Jahres, Wahlleiterin Sachs und ihr Team merken das daran, dass immer mehr Anmeldungen auch von Medienvertretern für den Wahlabend eintrudeln und das Leineschloss an seine Grenzen kommt. Anfang Januar wird sich eben wegen des Testcharakters der Landtagswahl viel Prominenz aus Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück an der Spitze zwischen Harz und Nordsee tummeln. Bei der Landtagswahl 2008 ist die Wahlbeteiligung auf 57,1 Prozent gesunken, aber nur ein Jahr später bei der Bundestagswahl gingen mehr als 73 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen.

Eine Fortführung der schwarz-gelben Landesregierung hängt davon ab, ob die FDP sich noch rechtzeitig in der Wählergunst berappelt, ohne dass dies zulasten der CDU geht. Derzeit liegen nämlich SPD und Grüne (47 Prozent) vor CDU und FDP (44 Prozent).

Wenn außer der FDP auch die Linke doch in den Landtag einzieht, wird sie absehbar eine rot-grüne Landesregierung stützen. Und schaffen auch die Piraten den Einzug ins Leineschloss in Hannover, werden Diskussionen über eine Große Koalition oder ein schwarz-gelbes Bündnis erwartet. Hinter den Kulissen wird angesichts der Umfragezahlen natürlich über eine Leihstimmenkampagne der CDU zugunsten der FDP spekuliert. Andererseits hängt in dem Fall, dass es für schwarz-gelb nicht reicht, die weitere Karriere des CDU-Landesvorsitzenden, Ministerpräsident David McAllister, an einem vorzeigbaren Ergebnis für die eigene Partei. Hinzu kommt: Verzettelt sich die CDU mit ihrer Taktik, macht sie erst recht den Weg frei für Rot-Grün.

Die heiße Phase des Wahlkampfes wird in diesem Jahr besonders kurz. Zwar haben vor allem kleine Parteien bereits meist kleine Plakate an Laternenmasten und vor Bäumen aufgestellt, aber die klassische Großplakatwerbung startet erst am 27. Dezember, also nach Weihnachten. Als die örtliche SPD in Hannover gegen dieses Agreement der Parteien vor wenigen Wochen verstieß, regte sich die CDU mächtig auf, und die SPD hängte die großen Porträts ihres Spitzenkandidaten Stephan Weil und der örtlichen Bewerberin Doris Schröder-Köpf wieder ab. Im Gegenzug empörte sich vergangene Woche die SPD darüber, dass ein von der Staatskanzlei produzierter Imagefilm über Ministerpräsident David McAllister über die CDU-Landespartei im Internet zum Herunterladen angeboten wurde. Und die Grünen entrüsteten sich, weil Umweltminister Stefan Birkner (FDP) als Landesvorsitzender und Spitzenkandidat der Liberalen einen Ministertermin nutzte, um Szenen für seinen Wahlkampffilm drehen zu lassen. In der Nach-Wulff-Ära in Niedersachsen liegt die Messlatte besonders hoch für die Trennung zwischen Amt einerseits und Parteipolitik oder Privatem andererseits. Für alle Beteiligten ist zudem schwer einzuschätzen, ob die Korruptionsaffäre um den früheren Bundespräsidenten und ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff spürbare Auswirkungen hat auf die Wahlentscheidung am 20. Januar.

Möglich ist in Niedersachsen alles: Sowohl die CDU 1982 unter dem Ministerpräsidenten Ernst Albrecht als auch die SPD 1994 und 1998 haben hier in der jüngeren Vergangenheit bereits absolute Mehrheiten der Mandate geholt, unter Christian Wulff verfehlte die CDU sie 2003 nur knapp.