Psychiatrie leistet gesetzliche Vollversorgung für die Region und wird dafür vom Gesetzgeber bestraft. 2012 noch mit 500.000 Euro im Plus.

Lüneburg. Das nächste Krankenhaus in kommunaler Trägerschaft in der südlichen Metropolregion Hamburg steht über kurz oder lang vor dem Kollaps. Und das, obwohl die Klinik seit Jahren gesund wirtschaftet und schwarze Zahlen schreibt. Schuld daran sind nicht nur gestiegene Löhne und Energiekosten. Es ist auch ein Bundesgesetz, vom Ministerium durchgedrückt und von Fachverbänden heftig kritisiert.

Schwarze Zahlen schreibt die Psychiatrische Klinik Lüneburg (PKL), seit die Kommune die Einrichtung im Jahr 2007 vom Land Niedersachsen übernommen und unter das Dach einer Holding geführt hat, die mit 2800 Mitarbeitern als größter Arbeitgeber der Stadt nicht nur sämtliche Kliniken in Lüneburg betreibt, sondern unter anderem auch das Schwimmbad.

Die Klinik ist akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Göttingen und gesetzlicher Vollversorger der Landkreise Lüneburg und Harburg, jedes Jahr kommen rechnerisch fünf voll belegte Betten hinzu. Das Jahr 2012 wird die PKL zwar mit etwa 500.000 Euro im Plus abschließen. Doch für das neue Jahr rechnet der Geschäftsführer mit nicht einmal der Hälfte an Gewinn, 2014 gerade noch mit einer schwarzen Null. Für die Zeit danach sieht Rolf Sauer rot. Dabei standen vor einem Jahr noch 1,4 Millionen Euro Gewinn unter seiner Jahresrechnung.

Schuld an der Misere sind nicht nur Tarifsteigerungen und höhere Energiekosten, die von den Pflegesätzen nicht aufgefangen werden. Es sind auch nicht nur die erheblichen Summen, die die Geschäftsführung in die Sanierung der 100 Jahre alten, denkmalgeschützten Gebäude stecken muss. Schuld ist auch das Abrechnungssystem.

215 stationäre Patienten betreuen die vier Kliniken und zwei Heime der Lüneburger Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Jahresdurchschnitt pro Tag - zum großen Teil schwer Kranke mit chronischen Psychosen. 215 Patienten, das sind sechs mehr als mit den Krankenkassen für das vergangene Jahr vereinbart. Und für die muss die Klinik 85 Prozent der überwiesenen Summen zurückzahlen. Rolf Sauer hat nachgerechnet: 500.000 Euro mehr stünden auf seiner Einnahmenseite, hätten die Kassen für alle Patienten den vollen Pflegesatz gezahlt. Eine glatte Verdoppelung des Ergebnisses.

Noch weiter und noch schneller ins Minus wird die Klinik steuern, sobald sie nach dem neuen Vergütungssystem für Psychiatrische Krankenhäuser abrechnen muss. Das Modell ist am 1. Januar gestartet, bislang allerdings auf freiwilliger Basis.

Und solange er nicht zwingend muss, wird der Lüneburger Geschäftsführer den neuen Vertrag auch nicht unterschreiben. "Wir haben unser Haus zwar technisch und organisatorisch in den Stand gesetzt, in der neuen Systematik abrechnen zu können", sagt Rolf Sauer. "Wir tun es aber nicht, weil das System falsche Anreize bietet. Nach meiner Einschätzung und meinem Kontakt zu einer Vielzahl von Kollegen steigen die Kliniken mit ganz wenigen Ausnahmen nicht ein."

Sauer sagt, das System würde die Klinik mittelfristig in die roten Zahlen ziehen. Denn: "In der Endstufe sieht es bundeseinheitliche, tagesbezogene Pflegesätze vor, die im Laufe der Behandlungsdauer geringer werden." Das System geht also davon aus, dass die Kosten pro Patient mit fortschreitendem Heilungsprozess zurückgehen. Bei einer neuen Hüfte könne er die Logik nachvollziehen - in der Psychiatrie allerdings nicht. "Die von uns erhobenen Kostenverläufe haben mit den Pflegetagen überhaupt nichts zu tun. Der 18. Tag ist nicht günstiger als der vierte, solche Prognosen lassen sich nicht stellen." Viele Patienten könnten bestimmte Therapieangebote zum Beispiel erst ab einem bestimmten Zeitpunkt überhaupt wahrnehmen.

Schwerstkranke und daher teure Patienten werden für Kliniken mit Versorgungsauftrag durch das neue Abrechnungssystem zur Kostenfalle, argumentieren Vertreter der Krankenhäuser. Und Einrichtungen ohne diese Pflicht könnten sie ablehnen - und stattdessen lukrative, leichter erkrankte Patienten aufnehmen. Die Folge, so Sauer: "Die, die sich ihre Patienten aussuchen können, erhalten eine komfortable Ausstattung, und die anderen geraten durch schwere Fälle mit geringem Pflegesatz automatisch in die Verlustzone."

Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft, Lobby sämtlicher Krankenhausträger der Bundesrepublik, steht dem sogenannten PsychEntgelt kritisch gegenüber: "Der Komplexität psychischer Erkrankungen wird nicht genügend Rechnung getragen", sagt Sprecher Moritz Quiske. Im Bereich Sucht etwa gebe es nur zwei Kategorien. Die Vergütung der Kliniken sei nicht adäquat, weil psychiatrische Krankenhäuser mit einem noch höheren Personalansatz arbeiteten als andere - und wie Rolf Sauer in Lüneburg sagt auch Moritz Quiske in Berlin: "Die degressiven Staffeln gehen vielleicht analog zum Heilungsprozess im Körper - nicht aber im Geist."