Die Firma Hercules Sägemann ist von Harburg nach Lüneburg gezogen. Die Krise hat der Traditionsbetrieb bereits hinter sich gelassen.

Lüneburg. In der Fabrik von Hercules Sägemann in Lüneburg könnte man auch einen Film über die Industrie der Jahrhundertwende drehen. Eiserne Produktionsanlagen, mit einer dunklen Ölschicht bedeckt, rotieren, stampfen und schnauben in einer Lautstärke, dass alle Mitarbeiter hier freiwillig Ohrstöpsel tragen. Ein Geruch nach Schwefel liegt in der Luft. Riesige Entlüftungstrichter an der Decke saugen den Staub über den Fräsen und Polierbänken an. Die Maschinen sind allesamt Dinosaurier bei der Verarbeitung von Ebonit, einem besonders harten Gummi. Zum Teil stehen sie schon mehr als 150 Jahre im Dienst des Werkes. "Sie arbeiten aber so gut wie eh und je", sagt ein Mitarbeiter über die eisernen Ungetüme. Und sie bürgen seit jeher für eine gleichbleibende Qualität der kleinen schwarzen Kunstwerke, die hier entstehen: Kautschukkämme, die Hercules Sägemann seit dem Jahr 1856 im Norden herstellt.

Für anspruchsvolle Friseure im In- und Ausland besitzen die Kämme aus dem Naturmaterial einen ähnlichen Stellenwert wie für einen Autofan ein selten gebauter Porsche. Durch gute Qualität und ein ebensolches Image hat sich das Unternehmen mit den Kämmen die Weltmarktführerschaft erarbeitet. Das begehrte Logo Hercules Sägemann prägen die Mitarbeiter von Hand in Blattgold auf jeden einzelnen Kamm. Das Siegel ist Ausdruck des Stolzes über die Produkte made in Germany, die aber nicht nur mit deutscher Feinarbeit punkten: Der Kautschuk hat gegenüber Kunststoff den Vorteil, dass keine scharfen Kanten an den Zinken verbleiben. Bei dem Naturgummi können alle Flächen rund geschliffen und poliert werden. So wird das Haar beim Kämmen geschont, und die Arbeit der Friseure ist komfortabler, ein Vorteil, den sich Hercules Sägemann neuerdings auch bei Bürsten zunutze macht.

+++ Im Käfer zur Selbstständigkeit durchstarten +++

Der Erfolg hatte jahrzehntelang auf der Seite des Unternehmens gestanden, das 1871 in Barmbek gegründet worden war und nach Harburg zog. Doch vor vier Jahren brach eine schwere Zeit an: Damals drohte dem Werk, das in der Krise unter seinen veralteten Strukturen zu leiden hatte, das Aus. Das Unternehmen hatte zuletzt in Harburg in einem alten, denkmalgeschützten Backsteinbau, auf vier Stockwerken und abgewetzten Parkettböden produziert. Eine ineffiziente Logistik und massiver Platzmangel machten ein wirtschaftliches Arbeiten damals unmöglich. Nur mit einem neuen Investor, dem Umzug vom traditionsreichen Sitz in Harburg nach Lüneburg in großzügigere Hallen konnte die New-York Hamburger Gummi-Waaren Compagnie AG (NYH) überleben, zu der Hercules Sägemann als eigenständige GmbH gehört. Neben den Kämmen produziert NYH noch Gummiteile und Laminate für die Autoindustrie und für Maschinenbauer, ein Bereich, der während der Finanzkrise ebenfalls eine Flaute erlebt hatte.

"Für die Neuansiedlung in Lüneburg haben wir im Zeitraum von drei Jahren eine Summe von 14,3 Millionen Euro investiert", sagt Firmenvorstand Bernd Menzel. Er hatte 1998 als Vermögensverwalter zusammen mit dem Immobilienunternehmer Albert Büll und weiteren Investoren die Aktienmehrheit der NYH erworben und brachte mit weiteren Geldgebern neues Kapital in die Firma ein.

Inzwischen sind alle Maschinen in Lüneburg an ihrem neuen Platz angekommen. Gut 75 Mitarbeiter von Hercules Sägemann haben ihre neue, alte Stelle in dem Gewerbegebiet am Kanal übernommen, weitere 80 Beschäftigte arbeiten in der Fertigung für die Industrie. Heute ist wieder der gewohnte Alltag eingekehrt. Beinahe jedenfalls.

Ein neues Gesicht bei Hercules Sägemann ist Senad Sarac, 33, ein Marketingexperte aus der Computerspielbranche. Der junge, eloquente Mann soll die Marke in die neue Zeit führen: "Hercules Sägemann ist wie ein Oldtimer. Ein wertvoller Oldtimer, der glänzt, den wir aber noch etwas polieren können." Sarac wirkt mit seinem modischen Bart, der Sonnenbrille an der Jeans und einem trendigen Hemd wie ein jugendlicher Fremdkörper in dem Werk. Er spricht über mittlerweile Tausende Fans beim Netzwerk Facebook, die er mit einem neuen Auftritt der Firma im Internet gewonnen hat. Über Präsentationen des Unternehmens auf der Berliner Fashion Show.

Es sind ungewohnte Strategien in der Fabrik, in der die meisten Mitarbeiter schon seit Jahrzehnten die immer gleichen Handgriffe erledigen. Und auf Stühlen sitzen, auf denen schon ihre Väter Platz genommen hatten, denn viele der Arbeitsplätze bei Hercules Sägemann sind in der Vergangenheit von Generation zu Generation weitergegeben worden. Senad Sarac hat mit den Kämmen eine neue Leidenschaft gefunden. Das zeigt sich bei seinem Umgang mit den Fabrikarbeitern. Und die Kollegen wissen die offene, natürliche Art des Marketingfachmanns zu schätzen.

"Es war wirklich die Frage, ob es überhaupt weitergeht bei uns", erinnert sich Peter Ziems, 48, Vorarbeiter in der Fräserei, der seit 34 Jahren zur Hercules-Mannschaft gehört. Als das Geld für den Umzug von Harburg nach Lüneburg dann bereitstand, sei eine große Erleichterung durch die Belegschaft gegangen, und allmählich kehre wieder Ruhe ein. "Hier ist es sauberer und schöner als in Harburg, auch wenn wir mit dem Umzug dort natürlich unser altes Zuhause verloren haben."

Nun aber zahle der Arbeitgeber sogar wieder Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Und die Aufträge stimmten ebenfalls. "Bei den Haarpflegeprodukten gehen wir in den nächsten vier Jahren von Zuwachsraten von zehn bis 15 Prozent aus", bestätigt Menzel. Im laufenden Geschäftsjahr erwarte das Unternehmen in dieser Sparte Umsätze von rund sieben Millionen Euro, in den übrigen Produktbereichen rechnet Menzel mit Erlösen von 11,1 Millionen.

Auch in einer Welt der Plastikprodukte wissen die Kunden die Kautschukkämme offenbar noch zu schätzen. Die Mitarbeiter bei Hercules Sägemann stellen sie aus anfangs unförmigen, gelben Kautschukballen her. Aus dem Naturmaterial, das beispielsweise aus Plantagen in Malaysia stammt, vulkanisieren und pressen die Arbeiter unterschiedliche Formen für Schneide- und Toupierkämme. Dann polieren und reinigen sie die Produkte weitgehend von Hand. In 35 Arbeitsschritten entstehen die guten Stücke und kosten im Handel dann ab 3,50 Euro für die Abnehmer, für Endkunden und Friseure. Senad Sarac hat gerade neue, stylische Verpackungen für die Produkte entworfen, mit Fotos aus der Fabrik, die den Wert der alten Handwerkskunst erahnen lassen. "So wollen wir auch die jüngeren Kunden aus der Geiz-ist-geil-Generation für uns gewinnen", sagt der Kaufmann, der große Hoffnungen auf das traditionsreiche Unternehmen setzt: "Wir werden und müssen das Überleben der Firma weiter sichern, schließlich sind wir weltweit die Einzigen, die noch Naturkautschukkämme herstellen. Wenn wir aufgeben, wird dieses Handwerk aussterben."