Die Münchnerin Christiane Fux macht den Stadtteil zum Schauplatz ihres Krimis “Das letzte Geleit“. In Wilhelmsburg hat sie ihre Kindheit verbracht.

Wilhelmsburg. Ein Bestatter mit kriminalistischen Ambitionen, eine alte Dame, der ihre Neugier zum Verhängnis wird - und dunkle Geheimnisse aus der Vergangenheit, die plötzlich ans Licht kommen: In ihrem Krimi "Das letzte Geleit" nimmt die Journalistin Christiane Fux, 46, die für ein Online-Medizinportal arbeitet, ihre Leser mit auf eine Reise voller Abgründe.

Ausgerechnet in Wilhelmsburg lässt die Münchnerin Fux eine Leiche ablegen. Wilhelmsburg ist auch der Ort der folgenden Ermittlungen. Wilhelmsburg: Es ist auffällig, wie gut Fux die Elbinsel und die Menschen, die dort leben, beschreiben kann. Das liegt daran, dass die 46-Jährige dort ausgewachsen ist. Im Buch beschreibt sie ihr einstiges Kinderparadies. So heißt es: "Hier waren Doppelhaushälften im Fachwerkstil für die Wilhelmsburger Industrie- und Hafenarbeiter errichtet worden. Die winzigen Häuschen besaßen große Gärten, in denen die Menschen Obst und Gemüse anbauen konnten." Vom Fachwerk sei nicht mehr viel übrig, es gebe Klinker aus den 80er-Jahren, und Butzenscheiben wechselten sich mit Panoramafenstern ab, schreibt sie. Sogar die Küche ihrer Tagesmutter wird verewigt. Wer also Lokalkolorit schätzt, kommt beim Lesen voll auf seine Kosten. Obwohl sie schon seit Jahren in München lebt: "Es war einfach, sich wieder in Wilhelmsburg zurechtzufinden", sagt sie.

Für sie sei klar gewesen, dass die Handlung ihres Buches nur hier spielen könne. Dieser typisch nordische Humor, die Menschen, die im Buch vorkommen - das hätte in Süddeutschland nicht funktioniert. Außerdem findet sie Wilhelmsburg immer noch spannend. "Es ist ein bunter Stadtteil. Das Zusammenspiel von ländlicher Umgebung am Deich mit reetgedeckten Häusern und urbanen Strukturen ist eine Herausforderung", sagt sie. Wenn auch vom Wilhelmsburg ihrer Kindheit nicht mehr viel übrig ist - die Reihenhaussiedlung, in der ihre Tagesmutter lebt, hat im Buch eine gewisse Heimeligkeit bewahrt.

Die Handlung des Krimis ist nicht so beschaulich wie das Milieu, in dem sie spielt: Beim Kaffeetrinken im Alsterpavillon in der Hamburger Innenstadt sieht Seniorin Anna plötzlich einen Mann am Nebentisch, der längst tot sein müsste. Anna heftet sich an seine Fersen, begibt sich auch auf eine Reise in die Vergangenheit und wird mit einem Lebensabschnitt konfrontiert, an den sie lieber nicht mehr erinnert werden möchte. Und der ihr zum Verhängnis wird. Denn kurz nach dieser schicksalhaften Begegnung wird Anna tot an der Bunthausspitze gefunden. Erfroren, wie es zunächst aussieht.

Für Bestatter Theo, der ihre Leiche auf dem Tisch hat, ist allerdings klar: Anna ist ermordet worden. Sodann begibt sich Theo auf Spurensuche. Mittels Rückblenden fügt Christiane Fux Szenen aus Annas Vergangenheit ein, aus jener Zeit während des Zweiten Weltkriegs, in der sie in einem Heim für behinderte Kinder als Betreuerin gearbeitet hatte. Was sich dort abgespielt hatte, gehört zu den grausamsten Abschnitten im Buch. Ein Kapitel aus deutscher Historie wird aufgeschlagen, das zu den schrecklichsten gehört: Mit Behinderten hatten Nazis kein Mitleid, viele Menschen mit körperlichen oder geistigen Gebrechen wurden weggesperrt oder ermordet. So geht es auch einigen Figuren aus "Das letzte Geleit". Keine leichte Krimi-Kost also.

So quasi nebenbei lädt Fux dazu ein, über das Altern nachzudenken, über den traurigen Alltag von an Demenz Erkrankten und Angehörigen, die mit dem ständigen Verfall der Persönlichkeit ihres geliebten Partners klarkommen müssen. Garniert wird das Ganze dann noch mit Details aus dem Bestatter-Berufsleben. Wer weiß schon, wie es ist, eine Leiche fürs Begräbnis herzurichten?

Vielleicht etwas zu viel harter Stoff für das 299 Seiten starke Buch. Wie respektvoll Autorin Fux allerdings mit ihren Charakteren umgeht und wie szenisch dicht sie Orte und Begebenheiten beschreiben kann, fasziniert. Wenn sie auch nicht einverstanden damit scheint, was sich alles momentan in "ihrem" Wilhelmsburg verändert. "Mal sehen, was daraus wird", sagt sie und bringt diese Skepsis mit ihren Protagonisten in "Das letzte Geleit" zum Ausdruck.

Vielleicht können sich Bestatter Theo und seine Bekannten im nächsten Krimi-Band schon eher damit abfinden, dass es so nach und nach richtig schick wird auf ihrer Insel. Mit Hochdruck arbeitet Christiane Fux an einer Folgegeschichte. Nicht nur ihre Tagesmutter, die in ihrer Küche im Kirchdorfer Reihenhaus laut Autorin jede Seite des Buches ihres ehemaligen Schützlings verschlungen hat, ist schon ganz gespannt darauf.

"Das letzte Geleit", Christiane Fux, Piper Verlag, 229 Seiten, 9,99 Euro.