Die Lüneburger Kinderklinik feiert ihr 40-jähriges Bestehen. Seit damals hat sich viel für die kleinen Patienten geändert. Ein Blick zurück.

Lüneburg. Der kleine Sören kniet im Spielzimmer der Lüneburger Kinderklinik und baut gemeinsam mit seiner Mutter aus hölzernen Schienenteilen eine Eisenbahnstrecke auf. Seit einer Woche ist er hier in Behandlung, nachdem er bei einem Fahrradunfall einen Bauchspeicheldrüsenriss erlitt. Wie der Sechsjährige dort sitzt, bietet er Einblick in einen Klinikalltag, der vor einigen Jahrzehnten noch undenkbar war. Die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Lüneburger Klinikums feiert heute ihr vierzigjähriges Bestehen - Grund genug, einmal einen Blick zurück zu werfen.

Am sechsten Juli 1972 öffnete die Kinderklinik des Städtischen Klinikums seine Türen für kleine Patienten. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden Kinder im "Kinderhospital" in der Barckhausenstraße behandelt, das schon im Jahre 1874 von der Kühnauschen Stiftung ins Leben gerufen und zuletzt von Dr. Becker geleitet wurde. Dieser übernahm im Anschluss auch seinen Dienst als Chefarzt der ersten Kinderabteilung des Klinikums.

Seither hat sich viel gewandelt, sowohl im medizinischen Bereich als auch im Klinikalltag der kleinen Patienten und ihrer Besucher. Der heutige Chefarzt Prof. Dr. Josef Sonntag bemerkt zum Beispiel einen Wandel der Krankheitsbilder: "Damals gab es ganz andere Diagnosen, wie Hirnhautentzündung oder Masern. Diese sind heute seltener geworden." Während laut Sonntag ein Drittel der heutigen Klinikmitarbeiter noch keinen Masernfall gesehen hat, stellte die Krankheit vor den Zeiten flächendeckender Impfungen noch ein echtes Problem dar. "Das erste Kind, das ich habe sterben sehen, hatte Masern", erinnert sich Stationsleiterin Cornelia Basse.

Die 54-Jährige sieht auch eine Veränderung in Bezug auf das Verständnis von Kindern, die heute einfach stärker beachtet werden. Früher seien die Kleinen noch eher als Anhängsel betrachtet worden und die medizinische Versorgung der Kleinsten sei noch nicht so ausgereift gewesen. "Damals gab es auf der Frühgeborenenstation sechs Brutkästen aber noch kein Beatmungsgerät. Säuglinge, die auf eine künstliche Beatmung angewiesen waren, konnten nicht behandelt werden und starben. Heute ist das undenkbar", sagt Basse und Sonntag ergänzt: "Noch vor 100 Jahren lag die Sterblichkeitsrate von Kindern bei 20 Prozent. Von fünf Kindern haben nur vier ihren ersten Geburtstag erlebt." Sonntag und Basse sehen einen gesellschaftlichen Wandel im engen Zusammenhang mit dem drastischen Geburtenrückgang der vergangenen Jahrzehnte. "Das einzelne Kind hat heute einen höheren Stellenwert im Bewusstsein der Menschen", sagt Basse.

Auch die Aufenthaltsdauer der Kinder ist im Laufe der Zeit stark zurückgegangen. Blieben die Kleinen in den 70er Jahren noch durchschnittlich 17 Tage in stationärer Behandlung, sind es heute nur noch etwa vier Tage. "Früher war das Sicherheitsbedürfnis höher. Die Kinder wurden erst entlassen, wenn sie vollkommen gesund waren", sagt Sonntag und fügt hinzu, dass auch das Netz der niedergelassenen Ärzte damals nicht so dicht war. Heute können viele Patienten schon nach wenigen Tagen ambulant weiterbehandelt werden.

Dass Angehörige ihre kranken Kinder rund um die Uhr begleiten oder die kleinen Patienten sich während ihrer Genesung in einem Spielzimmer aufhalten können, war zu Gründungszeiten der Klinik noch unvorstellbar. Wenn die Eltern ihre Kinder sehen oder sprechen wollten, mussten sie auf dem langen Balkon vor den Zimmern stehen und die dort angebrachten Telefone nutzen. Erst Weihnachten 1978 durften Angehörige zum ersten Mal zu den Kindern auf die Station. In der Folge haben sich dann regelmäßige Besuchszeiten durchgesetzt, "immer mittwochs und sonntags und auch nur stundenweise", so Basse. Ab da ging die Entwicklung rasant vorwärts und in den 80er Jahren durften Eltern schon über Nacht bei ihren Kindern bleiben. Sonntag kann aus heutiger Sicht keine vernünftige Erklärung für die damalige Übervorsicht finden. "Die Mediziner hatten Angst vor Infektionen oder Einschleppungen von Außen", sagt der Chefarzt.

Weil beim Heilungsprozess jeder Krankheit die Bettruhe als das wesentlichste Standbein angesehen wurde, gab es auch keine Notwendigkeit, sich um Angebote für die Kleinen zu kümmern, die ihnen den Aufenthalt in der Klinik angenehmer gestaltet hätten. "Die Kinder waren in ihren Zimmern und da blieben sie auch. Das wurde so von allen akzeptiert." Heute gibt es neben einem Spielzimmer, dem Spielplatz im Dachgeschoss, einem Klinik-Clown und Musiktherapie auch eine ausgebildete Erzieherin, die sich um das Wohl der Kleinen kümmert.

Für die Zukunft sieht Sonntag die Notwendigkeit, auf sich stetig verändernde Krankheitsbilder einzugehen. In der Praxis träfe er zunehmend auf Kinder mit psychosomatischen Störungen. Dazu sagt Sonntag: "Eltern haben heute oft eine zu hohe Erwartungshaltung gegenüber ihren Kindern. Gleichzeitig sind sie unsicherer geworden. Das schlägt sich schon bei kleinen Kindern auf die Psyche nieder." Für diese seelischen Erkrankungen wünscht sich Sonntag eine Abteilung für Kinder- und Jugendpsychosomatik, die in Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie realisiert werden könnte.