Was steht 2012 in Lüneburg an? In einer fünfteiligen Serie geben wir einen Ausblick auf das neue Jahr. Den Auftakt macht das Thema Bildung.

Lüneburg. In Lüneburg gehen mehr als 8200 Kinder und Jugendliche zu Schule. Sie haben ein gemeinsames Ziel: Sie wollen eine gute Ausbildung. Torsten Henze, Vorsitzender des Lüneburger Stadtelternrates erklärt, was er von der Oberschule hält, wo er die größten Baustellen in der Schullandschaft sieht und wie Eltern ihre Kinder unterstützen können.

Hamburger Abendblatt: Wenn Sie als Elternvertreter einen Wunsch frei hätten, welcher wäre das?

Torsten Henze: Gute Bildung für alle. Das mag einfach klingen, aber meines Erachtens muss es hier in Niedersachsen noch stärker ins Bewusstsein dringen, dass wir uns nicht auf Rohstoffe verlassen können, sondern unsere Kinder unser größtes Potenzial sind.

Was ist aus Ihrer Sicht das Grundübel des deutschen Schulsystems?

Henze: Auch wenn ich ein Anhänger des Föderalismus bin, in Bezug auf das Schulsystem halte ich eine Bundesregelung für sinnvoller. Dadurch, dass Schulpolitik vor allem Ländersache ist, haben wir in jedem Bundesland unterschiedliche Strukturen, die untereinander nicht kompatibel und vergleichbar sind. Momentan ist das ein heilloses Durcheinander. Die Äußerung der Bundesregierung, dass sie mehr für Bildung tun will, wird nur halbherzig umgesetzt. Statt zu investieren, wird an Lehrerstellen gespart.

Die CDU feiert die Einführung der Oberschule als tief greifende Reform. Überzeugt Sie das Modell?

Henze: Hinter dem Modell Oberschule steckt ja eine verkappte Kooperative Gesamtschule. Das ist nichts Neues. Dass in diesem Bereich etwas getan werden musste stimmt. Und für einige Schulen ist das Modell sicher sinnvoll. Die Christianischule, an der es vorher schon Hauptschul- und Realschulklassen gab, wird ab August 2012 den Betrieb als Oberschule aufnehmen. Positiv an der Oberschule ist, dass es kleinere Klassengrößen erlaubt sowie mehr Lehrerstunden und Sozialarbeiter.

Was bedeutet die Oberschule für die anderen Schulformen?

Henze: Die Hauptschulen bluten langsam aus. Reine Hauptschulen werden es in Zukunft aufgrund der sinkenden Schülerzahlen schwer haben. Aber es gibt auch Ausnahmen. Die Hauptschule Stadtmitte etwa, die in vielen Bereichen sehr engagiert ist.

Kritiker meinen, dass es Integrierte Gesamtschulen (IGS) gegenüber Oberschulen vor allem im ländlichen Raum schwer haben werden, sich zu etablieren, da sie bei ihrer Gründung viel höhere Voraussetzungen erfüllen müssen.

Henze: Diese Andersbehandlung der IGS, die nur gegründet werden kann, wenn fünf Klassen in einem Jahrgang zustande kommen, während zur Einrichtung einer Oberschule die Dreizügigkeit ausreicht, stört uns als Eltern sehr. Viele Eltern befürworten längeres gemeinsames Lernen und die neueren Lehrkonzepte, die an der IGS häufiger zum Tragen kommen. Dass die Integrierten Gesamtschulen gewünscht werden, zeigen die Gründung in Embsen und der erfolgreiche Start der IGS in Kaltenmoor. Dort gibt es mehr Bewerber als Plätze. Ich wage die Prognose, dass in naher Zukunft eine dritte IGS im Westen des Landkreises gegründet wird.

Wie beurteilen Sie die Entwicklung hin zu immer mehr Ganztagsschulen?

Henze: Insgesamt ist diese Entwicklung zu begrüßen. Was wir aber derzeit vielfach haben, ist eine Art "Ganztagsschule light". Es muss ein ganz klares pädagogisches Konzept geben, das heißt auch Lehrer, die Nachmittagsunterricht oder die pädagogische Betreuung am Nachmittag übernehmen. Außerdem muss eine gute Mittagsbetreuung gewährleistet sein und nicht zuletzt müssen auch Ausstattung und die räumlichen Voraussetzungen stimmen. Viele Schulen haben gute Ideen. Jüngstes Beispiel ist die Grundschule St. Ursula, die neue Räume bekommt, um ihr Konzept umzusetzen.

In diesem Jahr sind erstmals in Niedersachsen Schüler nach der 12. Klasse zu den Abiturprüfungen angetreten. Es gab vorher viel Kritik an den sogenannten G8-Plänen. Gibt es dennoch eine Erkenntnis, die Schülern, Lehrern und Eltern 2012 helfen kan n?

Henze: Aus meiner Sicht ist die G8-Einführung ein Fehler gewesen. Aber nun wird es eben umgesetzt und daran sollte nicht gleich wieder etwas verändert werden. Allen Unkenrufen zum Trotz gab es ja bei dem Doppeljahrgang im Sommer keine großen Differenzen bei den Ergebnissen der G8- und G9-Schüler. Da es unmöglich ist, den Stoff von drei Jahren innerhalb von zwei Jahren zu lernen, ist es jetzt wichtig, die Stundenpläne zu entrümpeln und die Lehrpläne genauer zuzuschneiden. Außerdem muss es kleinere Kurse geben, mit eher 20 als 30 Schülern.

Für Kinder und Jugendliche sind vor allem die Übergänge, von der Kita in die Grundschule und später auf weiterführende Schulen, eine besondere Herausforderung. Wird derzeit genügend getan, damit die Kinder diese Schritte erfolgreich meistern können?

Henze: Der Übergang zwischen Kita und Grundschule ist schon sehr gut geregelt. Da gibt es gegenseitige Schnuppertage, Probeunterricht und vieles mehr. Am Ende der Grundschule gibt es ja dann eine Schullaufbahnempfehlung. Dann liegt die Entscheidung bei den Eltern. Generell ist die Durchlässigkeit im Schulsystem vom Gymnasium zur Real- oder Hauptschule gewährleistet. In die andere Richtung sieht es nicht so gut aus. Ein Beispiel: Im Fremdsprachenunterricht am Gymnasium wird mehr erwartet, als an der Realschule gelehrt wird. Realschüler haben so kaum eine Chance, die Leistungsanforderungen am Gymnasium zu erfüllen.

Die Bildungskarriere beginnt heute in der Kita, spätestens ab der Grundschule werden Kinder auch mit Leistungsdruck konfrontiert. Wie können Eltern ihre Kinder unterstützen ?

Henze: Eltern müssen die Ansprüche an ihre Kinder zurückschrauben. Für viele Eltern ist der Weg nach dem Wechsel von der Kita in die Grundschule programmiert, das Ziel ist das Gymnasium. Das bedeutet mitunter auch Stress für die Kinder. Außerdem hilft es, wenn sich die Eltern in der Schule engagieren, Elternabende und Gremien besuchen, in denen sie mitbestimmen können. Die Schulen brauchen aktive Eltern. Und dann hilft es, bei allem Trubel um Themen wie Oberschule und G8 auch einfach Gelassenheit rein zu bringen.

Wo sehen Sie 2012 die größte Baustelle in der Lüneburger Schullandschaft?

Henze: Das ist das Thema Inklusion (gemeinsames Lernen von behinderten und nichtbehinderten Schülern. d. Red.). Deutschland hat sich entschieden diese UN-Konvention umzusetzen, und nun müssen Konzepte her, wie das im Einzelnen funktionieren kann. Da sind noch viele Fragen offen. Die Schulträger sollen den Umbau der Schulen vorantreiben, werden aber bei der Finanzierung alleingelassen. An anderer Stelle fehlen Lehrer, die speziell geschult sind für Inklusionsmodelle. Man könnte ja auch andersherum rangehen und die Förderschulen für inklusive Modelle öffnen. Die baulichen Voraussetzungen wären dort bereits gegeben.

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(abendblatt.de)