Blindenführhunde sind speziell ausgebildet und müssen sehr diszipliniert sein

Harburg. Andreas Schmelt aus Marmstorf hat 1986 aufgrund der erblichen Augenerkrankung Zapfen-Stäbchen Dystrophie innerhalb von einem Jahr 97 Prozent seiner Sehkraft verloren. Seit 2001 ist er Erwerbsunfähigkeitsrentner und inzwischen ist seine Sehkraft auf einen Prozent gesunken. Seit zwei Jahren hat er den Blindenführhund Hektor an seiner Seite, der ihn zum Bus und zum Einkaufen führt sowie ihn auf Bahnreisen begleitet. Der 52-Jährige ist Vorsitzender des Deutschen Blindenführhundevereins.

Hamburger Abendblatt:

Blinde Menschen kommen doch eigentlich wunderbar mit einem Langstock klar. Warum haben Sie sich dennoch für einen Blindenführhund entschieden, Herr Schmelt?

Andreas Schmelt:

Mit einem Langstock gehen sie nur selbstständig und selbstbestimmt Wege, die Sie sich vorher mit Hilfe erarbeitet haben. Die Orientierung ist ja beschränkt wegen des Stockendes, der verbliebenen Sinnesfähigkeiten und des eigenen Konzentrationsvermögens. Für einen 400 Meter langen Fußweg, den ich zum ersten Mal gehe, brauche ich mit einem Langstock mindestens 15 Minuten. Für mich ist aber nicht der Weg, sondern das Ziel das Entscheidende. Im technischen Bereich tut sich sehr viel für Blinde, aber Navigationssysteme haben zum Beispiel immer noch eine Ungenauigkeit von einigen Metern, die für blinde Menschen gefährlich sein können. Diese Probleme haben sie mit einem Führhund nicht. Ich glaube, mit einem Blindenführhund würden auch mehr blinde Menschen ihr Haus verlassen.

Warum?

Schmelt:

Mit einem Blindenhund haben sie ein Hilfsmittel mit Seele, der zugleich ein Türöffner ist.

Inwiefern?

Schmelt:

Ich habe noch nie so viele soziale Kontakte geknüpft wie mit meinem Hund. Viele Menschen mit oder ohne Hund sprechen mich jetzt an.

Und wie fühlt es sich an, von einem Hund in der Stadt geführt zu werden?

Schmelt:

Wunderbar! Ich bin der Navigator, und Hektor ist der Pilot. Wenn ich "rechts" sage, sucht er die nächste Möglichkeit, rechts abzubiegen. Er findet Fahrstühle, Sitzplätze, Ein- und Ausgänge, Ampeln und Bushaltestellen. Gleichzeitig sorgt er dafür, dass ich nirgendwo gegen laufe.

Heißt das, er berücksichtigt auch Ihre Körpergröße?

Schmelt:

Ja und er weiß auch, wie dick wir beide sind. Wenn zum Beispiel Mülltonnen auf dem Fußweg stehen und der Durchgang für uns beide zu eng ist, gibt er mir Gelegenheit, das Hindernis zu ertasten. Auf meinen Befehl "Such Weg" verlässt er den Fußweg und führt mich um das Hindernis herum. Insgesamt beherrscht Hektor 60 zirka Befehle.

Gab es auch schon einmal den Fall, dass Ihr Hund den Gehorsam verweigert hat?

Schmelt:

Nein, nur während unserer gemeinsamen Einarbeitungszeit in Berlin. Mitten auf dem Alexanderplatz wollte er nicht mehr weiterarbeiten und hat ausgetestet, wer von uns das Sagen hat. Ich musste ihn dann irgendwie motivieren. Innerhalb von gefühlten zehn Minuten hatte sich eine Menschentraube um uns gebildet. Das war ein ganz blödes Gefühl. Die Ausbildung, die Hektor in der Blindenführhundeschule Maik Schubert (BMS) genossen hat, basiert allerdings auch nicht auf Zwang, sondern auf positiver Verstärkung. In Massenführhundeschulen, die meistens mit Zwang arbeiten, sieht die Folgsamkeit schon wieder ganz anders aus.

Trotz Ihrer eingeschränkten Sehkraft von unter einem Prozent waren Sie als Geschäftsführer eines Logistikunternehmens mit bis zu 120 Mitarbeitern tätig bis Ihnen die Ärzte vor elf Jahren nahe legten, aufzuhören. Was mussten Sie aufgrund Ihrer Blindheit noch aufgeben?

Schmelt:

Ich war begeisterter Kunsthallengänger. Die optischen Eindrücke von moderner Kunst und Gemälden vermisse ich sehr.

Gibt es etwas, das Ihr Leben bereichert hat, seitdem Sie blind sind?

Schmelt:

Ich gehe vorbehaltloser auf Menschen zu. Es ist mir klar geworden, wie unbedeutend das Aussehen ist. Und ich öffne mich mehr gegenüber meinen Mitmenschen. Dadurch ist das Leben für mich schöner geworden.