Eine ehemalige Klientin der Drogenberatungstelle Drobs erzählt beim Tag der offenen Tür von ihrer Alkoholsucht. Von dem Schalter, der sich umlegt.

Lüneburg. Als ein guter Freund und ein Mitglied der Familie starben, hat es bei Nora* Klick gemacht. Der Klick, auf den sie jahrelang gewartet hatte. Der Schalter, der sich umgelegt hat. Die Entscheidung, leben zu wollen, und zwar ohne Alkohol. Nora hat gerade ihre Therapie bei der Lüneburger Drogenhilfeeinrichtung Drobs beendet. Am Sonnabend war sie noch einmal dort - zum Tag der offenen Tür.

Zwei stationäre Therapien konnten nicht das bewirken, was die eine ambulante Therapie - und die tragischen Todesfälle in Noras Umfeld - bewirkt haben, sagt sie heute.

Sieben Jahre und vier Monate ist es her, dass Nora, heute 56 Jahre alt, für einige Monate in eine Klinik zog. "Beim ersten Mal hatte ich eine riesige Erwartungshaltung", erzählt sie. "Das war ein Irrglaube." Beim zweiten Mal hatte sich ihre Einstellung zwar verändert - aber: "Die Klinik ist ein Schonraum, ich lebte dort abgeschottet und vom normalen Alltag befreit. Die Probleme fielen weg." Zurück zu Hause, zurück im Alltag, waren die Probleme wieder da.

Und dafür hielt sich Nora immer ein Hintertürchen offen, wie sie es nennt: das kontrollierte Trinken. "Ich habe gedacht, ich könnte das. Jetzt weiß ich: Ich kann nicht so trinken wie andere." Und deshalb verzichtet sie ganz darauf. Trinkt Tee, geht spazieren oder schwimmen, wenn es so weit ist.

Nora lebt seit vielen Jahren in ihrer Wahlheimat Lüneburg, arbeitet als Sozialpädagogin. Arbeit und Alltag liefen während der Drobs-Therapie weiter: Begonnen hat sie im Sommer vergangenen Jahres in der sogenannten Informations- und Motivationsgruppe, darauf folgte die einjährige Therapie: zunächst sechs Monate regelmäßige Treffen zu vorgegebenen Themen in einer Gruppe mit zwei Therapeuten, danach sechs Monate in einer zweiten Gruppe mit anderen Therapeuten und offenen Themen. Hinzu kamen jeweils Einzelgespräche mit dem Stammtherapeuten.

Von ihrer Krankheit geheilt wird sie wohl niemals sein, das weiß Nora. Aber damit leben, das kann sie jetzt. Sie geht regelmäßig zum Arzt, denn der Alkohol hatte sie nicht nur psychisch, sondern auch physisch im Griff. Ihr Körper hatte schon rebelliert. "Es war fünf vor zwölf", weiß Nora jetzt. "Zum Glück war das reversibel."

Seit 18 Jahren ist Nora mit Manfred* zusammen, kommendes Jahr wollen die beiden heiraten. Als sie sich kennenlernten, tranken beide. Wenn sie betrunken waren, rutschten sie in Depressionen. Sie stritten, machten sich Vorwürfe, verantwortlich für das, was nicht gut war.

Wenn Manfred trank, kamen die Ängste. "Ich blieb im Bett, wollte keinen Menschen sprechen, traute mich nicht vor die Haustür." 1994 verlor Manfred seinen Führerschein, ging in Therapie. Nora unterstützte ihn, trank selbst aber weiter. Fünf Jahre ließ Manfred das Trinken sein, dann dachte er: Ein bisschen mittrinken wird schon gehen.

Es ging nicht.

Vor vier Jahren machte auch Manfred einen stationären Entzug - zeitgleich mit seiner Partnerin, aber in unterschiedlichen Einrichtungen. "Wir haben immer zueinander gehalten", sagt er. Der 56-Jährige ist bis heute trocken, fühlt sich so wohl wie noch nie in seinem Leben. "Ich brauche keine Angst mehr zu haben, wenn ich ins Auto steige. Es kann nichts passieren, ich habe schließlich nichts getrunken."

Er habe schon damals seinen Punkt gefunden, sagt Manfred. "Viele in der Therapie haben sich nicht getraut, über sich zu sprechen. Das müssen sie aber. Nur, wer darüber spricht, kann sich selbst erkennen. Und aus dieser Erkenntnis lernen, wie man damit umgeht. Dafür gibt es keine Formel, jeder muss den Weg für sich finden."

Dabei ist Manfred und Nora ganz klar, dass sie am Alkohol nicht vorbeikommen. "Wir leben in einer Alkoholgesellschaft. Das müssen wir aushalten, und das tun wir auch", sagt er. Gäste können sich etwas zu trinken mitbringen - und die Reste selbst entsorgen. Und wenn Freunde im Restaurant ein Bier trinken, ist das in Ordnung.

Nora sagt: "Für uns ist das Nichttrinken eine Lebensphilosophie geworden, so, wie andere kein Fleisch essen. Eine gemeinsame Überzeugung, die wir teilen und nach der wir leben." Ohne Alkohol fühlen sich die beiden freier als vorher. Sie streiten kaum noch, sehen nicht so schwarz wie mit Bier und Schnaps im Blut. Es geht ihnen körperlich besser, der Alltag fällt leichter.

"Ich habe unheimlich viel Energie auf die Geheinhaltung verwandt", sagt Nora. Diese Energie hat sie jetzt für anderes übrig. "Ich fühle mich befreit. Wir leben harmonisch, in einer ruhigen Stimmung. Natürlich ist nicht immer alles toll, aber die Lebensqualität hat sich ganz deutlich gesteigert."

Nora war drauf und dran, durch ihre Sucht wichtige Menschen zu verlieren. Fühlte sich angegriffen, als Freunde und Verwandte zu ihr sagten: Du musst etwas tun. Viele Jahre hat es gedauert, bis Nora klar war, dass nicht sie den Alkohol im Griff hatte, sondern er sie. Und dass sie professionelle Hilfe braucht, um davon loszukommen.

"Ich hätte nicht gedacht, dass das möglich ist", sagt Nora heute. "Ich bin so froh. Ich möchte leben und nicht weiter trinken und sterben - denn das wäre die Konsequenz gewesen. Ich habe es begriffen." Es hat Klick gemacht. Nora hat ihren Schalter umgelegt.

*Namen geändert.