Vom Anerkennungsgesetz könnten ab 2012 bundesweit 300 000 Migranten profitieren. Neue Beratungsstelle in Lüneburg eröffnet

Lüneburg. Jung, gut ausgebildet und motiviert: Wer diese Eigenschaften mitbringt, hat normalerweise weltweit gute Karrierechancen. Stammt das Examen aber aus Kiew oder der Berufsabschluss aus Teheran statt aus Köln oder München, ist es schwer, auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Ein neues Gesetz soll nun helfen, das Potenzial von Migranten künftig besser zu nutzen.

Das Anerkennungsgesetz soll es Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland erleichtern, mit ihren im Ausland erworbenen Berufsabschlüssen einen Job zu finden. Allerdings ist das neue Gesetz nur ein kleiner Schritt auf dem Weg dahin, denn es gibt Migranten allein das Recht den Antrag zur Annerkennung von Berufs- oder Bildungsabschlüssen zu stellen. Innerhalb von drei Monaten bewerten dann in den einzelnen Bundesländern Berufsfachgremien wie die Ärztekammer, das Kultusministerium oder die Handwerkskammer die eingesandten Dokumente. Bisher galt diese Regelung nur für Spätaussiedler.

Die Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg-Stade (IHK) berät jedes Jahr bis zu 100 Menschen mit ausländischen Berufabschlüssen. In den 90er-Jahren kamen viele Arbeitskräfte aus den Bereichen Handel, Gastronomie und Metallverarbeitung aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion auf Suche nach Arbeit in die Region. Volker Linde, Leiter Aus- und Weiterbildung bei der IHK kennt den Umgang der Firmen mit dem Thema seit vielen Jahren. "Unternehmer haben bisher immer sehr pragmatisch auf Bewerber reagiert, die Qualifikationen im Ausland erworben haben. Es gibt häufig mehrstufige Einstellungsverfahren und zudem die Probezeit, um zu sehen, wie ein Arbeitnehmer sich in der Praxis bewährt", sagt der Sprecher der niedersächsischen Kammern. Die IHK Lüneburg macht sich für eine bundeseinheitliche Regelung stark. Ein zentrales Kompetenzteam soll die im Ausland erworbenen Qualifikationen überprüfen. Damit sei auch für die Betroffenen ein hohes Maß an Fairness und Vergleichbarkeit gewährleistet, ist Volker Linde überzeugt.

Stichwort Vergleichbarkeit: Die spielt auch bei der angestrebten Harmonisierung von Berufs- und Bildungsabschlüssen auf europäischer Ebene eine wichtige Rolle. Eigentlich klingt es ganz einfach. Seit 2004 herrscht die sogenannte Arbeitnehmerfreizügigkeit, das heißt, Männer und Frauen, die in einem Mitgliedsland der Europäischen Union wohnen, können auch in anderen EU-Ländern studieren, arbeiten und leben, sofern keine anderen Regelungen gelten. Ein französischer Unternehmer kann einen schwedischen Arbeitnehmer einstellen, wenn auf beiden Seiten die Vorstellungen über den Job zusammenpassen. Da jedoch jedes Land sein Bildungssystem selbst gestaltet und Anforderungen und Qualitätsstandards für Berufs- und Studienabschlüsse festlegt, ist der Vergleich schwierig. Auf dieser Ebene werden derzeit die ersten EU-Standards geschaffen.

Noch weniger ist über die Studien- und Ausbildungsinhalte von Nicht-EU-Staaten bekannt. In den meisten Fällen reichen jedoch Berufs- und Bildungsabschlüsse aus Ländern wie Russland, Afghanistan oder Ghana nicht aus, um in Deutschland als gleichwertig anerkannt zu werden, hat Christa Reimers festgestellt. Sie arbeitet seit vielen Jahren in der Migrationsberatung des Diakonieverbandes Lüneburg. "In vielen Ländern unterrichten Lehrer nur ein Fach. In Deutschland sind Lehrer aber für zwei Fächer ausgebildet. Das heißt, Pädagogen mit nur einer Fachausbildung können hier nicht in ihrem Beruf arbeiten", sagt Christa Reimer.

Menschen, die in ihrer Heimat als Ärzte oder Juristen gearbeitet haben und hier weit unter ihrem Qualifikationsniveau angestellt sind, kennt auch Najia Zaaboul-Weikämper, die als Dolmetscherin und Übersetzerin arbeitet. "Viele hoffen mit dem Gesetz auf bessere Chancen, hier zu arbeiten. Allerdings haben auch einige der jungen, gut ausgebildeten Frauen Angst, das hier ihre Kenntnisse und Abschlüsse nicht anerkannt werden." Die gebürtige Marokkanerin kam als Studentin nach Deutschland, lernte ihren Mann kennen, gründete eine Familie und engagiert sich ehrenamtlich für die Belange von Migranten. Die Vorsitzende des Arabisch-Deutschen Vereins Lüneburg ist gut vernetzt. "Es gibt viele Projekte, mit denen Migranten der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert werden soll. Und ich stelle immer wieder fest, es gibt viel Potenzial und Talente. Das sollte die Gesellschaft nutzen."

Auch Christa Reimers kennt viele Schicksale. Zum Beispiel das eines jungen Paares aus Russland: Beide haben die Universität als Historiker abgeschlossen und leben nun mit ihrem Kind in Lüneburg. In ihrem Beruf können sie hier nicht arbeiten, ihr Abschluss wird ohne zusätzliche Qualifizierung in Deutschland nicht anerkannt. Um sich ihren Traum von einer Karriere in ihrem erlernten Berufsfeld zu erfüllen, folgten die beiden den Empfehlungen des Kultusministeriums. Die notwendigen Praktika und Fortbildungen finanzierten sie sich, indem sie jahrelang nebenbei in einem Hotel in Lüneburg putzen gingen.

An diesem Punkt setzt die Kritik der Beraterin an. Sie befürchtet, dass das Gesetz nicht zu mehr Annerkennungen führt und damit die Chancen der Betroffenen auf einen Job nicht wesentlich verbessert. "Das Gesetz ist grundsätzlich zu begrüßen. Aber es ist nur ein kleiner Baustein. Außerdem muss die Existenz derjenigen gesichert sein, die sich nach den Empfehlungen der Gremien richten und Nachqualifizierungen absolvieren", sagt Christa Reimers.

Auch eine Ablehnung des Antrags kann den Betroffenen weiterhelfen, versichert Viola Herrmann vom Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft. "Um eine Umschulung beginnen zu können, müssen die Antragsteller nachweisen, dass sie in ihrem Herkunftsland einen Beruf erlernt haben", sagt die Beraterin. Damit Migranten mehr über das Gesetz und ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt erfahren, wurde eine neue Anlaufstelle in Lüneburg, Am Fährstieg 5, eingerichtet. Geöffnet ist das Büro, in dem zwei Beraterinnen arbeiten von Montag bis Freitag, von 8 bis 12 Uhr.