In Lüneburg wird über die positiven wie negativen Folgen der Gentrifizierung diskutiert. Die Meinungen zur Entwicklung sind geteilt.

Lüneburg/Harburg. In Lüneburg wird über die positiven wie negativen Folgen der Gentrifizierung diskutiert. Die Entwicklung ließe sich nicht schwarz-weiß sehen, sagte Friedrich von Mansberg (SPD) im Interview mit der Abendblatt-Regionalausgabe. Als ein gelungenes Beispiel nannte er die Aufwertung der westlichen Altstadt durch die Menschen vor Ort. "Hier wurde alles richtig gemacht", sagt von Mansberg. "Auch, weil die Sanierung des Viertels nicht einem Konzern übertragen wurde."

Michèl Pauly (Die Linke) befürchtet dagegen "verheerende gesellschaftliche Folgen". Eine Spaltung der Gesellschaft müsse von vornherein verhindert werden. Er fordert einen Mietspiegel und bezahlbaren Wohnraum in allen Vierteln der Stadt. In dem sanierten Altstadtviertel sei beispielsweise das Mietniveau hoch. Pauly: "Dort kann nicht jeder wohnen."

Das Thema spielt auch im benachbarten Harburg eine große Rolle. Sonderpostenmärkte und Outlet-Boutiquen, die am Käufergeschmack vorbei produzierte Markenware verramschen: Mit den Augen von Stadtplanern und Werbern betrachtet, taumelt Harburgs Fußgängerzone die Abwärtsspirale hinunter. Keine Café-Latte-Oasen gibt es hier, sondern austauschbare Backwarenketten. Alles vom Billigsten, Plundergebäck eben und nicht Sahnetorte.

Christoph Twickel bietet eine versöhnlichere Perspektive auf die Fußgängerzone an. Der Hamburger Journalist und Mitverfasser des Manifests "Not in our name - Marke Hamburg" der Bewegung "Recht auf Stadt" identifiziert in Harburg noch das eigentliche Wesen von Stadt. Hier existiert noch die urbane Multitude, das Nebeneinander von Bevölkerungsgruppen. Anders ausgedrückt: In Harburg können sich Kopftuchträger und Rentner noch Kaffee satt leisten.

In seinem Buch "Gentrifidingsbums - oder eine Stadt für alle" beschreibt Christoph Twickel die Wiedergeburt der abgewirtschafteten Altonaer Fußgängerzone. "Jetzt kommt Ikea, dann ist sie gerettet", sagt er süffisant. Die Geschichte der Großen Bergstraße könnte auch die der Harburger Fußgängerzone sein.

Twickel beschreibt in seinem Buch Prozesse der Gentrifizierung, also den Umbau von Stadtquartieren und die Verdrängung von Mietern. Auf Einladung der Vereinigung Sued-Kultur, ein Zusammenschluss von Kulturschaffenden in Harburg, diskutierte der Autor vor 27 Besuchern im Jazzclub Stellwerk über die Rolle der Künstler und Kulturanbieter bei der Gentrifizierung.

Kulturell Aktive stecken nämlich in einem Dilemma: Nach der Devise "Wenn ein Ort langweilig wird, hauen die Reichen ab" gilt heute selbst Subkultur als Standortfaktor im Monopolyspiel der milliardenschweren Investoren. Hamburg Marketing schmückt die Hansestadt in einem Werbespot mit Travestiten und Rockkonzerten.

Clubbetreiber und Galeristen bekommen leerstehende Gebäude in guten Lagen und machen sie interessant. Später fallen viele der selbstproduzierten Aufwertung zum Opfer, wenn gut verdienende Bevölkerungsgruppen in diese Quartiere mit hippem Image ziehen und die Mieten steigen.

"Müssen wir uns Sorgen machen?", will Jazzclubchef Heiko Langanke wissen. Und einzelne bei Sued-Kultur meinen durchaus: Ja. Wenn die Initiative Kultur im Hamburger Süden schaffe, trage sie zur Gentrifizierung bei.

Eine Kulturwüste als Gegenstrategie zur Verdrängung au dem eigenen Viertel? Christoph Twickel erteilt einem so radikalem Weg eine klare Absage: "Es führt in die Irre, wenn wir sagen, ein Jazzclub schaffe Gentrifizierung." Der Kämpfer für ein "Recht auf Stadt" unterscheidet zwischen Kulturschaffenden, die einfach nur ein Programm abspulen und dann wieder abhauen -

Beispiele sehe man in der Hafencity oder in Wilhelmsburg - und denen, die sich einmischen und dauerhaft im Stadtteil bleiben.

Eine Antwort darauf, wie man das bekämpft, was man selbst hervorruft, finden Twickel und sein Harburger Publikum, darunter die frühre Phönix-Center-Managerin Anette Eberhardt, an diesem Abend nicht. Einen Vorteil darin, dass Themen wie "Ekeltunnel" oder Leerstand das Bild Harburgs in der Öffentlichkeit prägen, sieht Heiko Langanke jedenfalls nicht.

Wie aber solle Harburg damit umgehen, wenn es nur als "Idiotenstadt" gesehen werde, fragt der Jazzclubchef und liefert in einer weiteren Frage eine Antwort, an die er selbst nicht so recht glaubt: "Geht auch ein bisschen Gentrifizierung?" Ein wenig Aufwertung wäre ja nicht schlecht.

Leute, die vorher Turnschuhe oder Waschmittel vermarktet hätten, würden heute die Koordinaten der Politik bestimmen, beklagen Gentrifizierungsgegner. Stadt werde nur noch als Portfolio von Investitionsflächen gesehen, Politiker schauen willfährig zu. Menschen müssten diesen Leuten die Kulturpolitik wieder wegnehmen, sagt ein Besucher. Wie man aber Investmentgesellschaften und Konzernen die Macht streitig macht - das bleibt offen.