Die Gedenktafeln für die Opfer der Nationalsozialisten sollen künftig auch auf dem Land verlegt werden

Oldershausen/Lüneburg. Jörn Lütjohann wohnt zwar im kleinen Elbmarschdorf Oldershausen, doch hat der Anwalt seine Kanzlei in Hamburg-Wandsbek. Auf dem Weg ins Büro hält er täglich inne. In den Fußweg sind Stolpersteine eingebaut. Sie sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig. Mit diesen Gedenktafeln soll an das Schicksal der Menschen erinnert werden, die im Nationalsozialismus ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Lütjohann setzt sich dafür ein, dass Stolpersteine künftig auch in der Elbmarsch an Nazi-Verbrechen erinnern. Die Lüneburger Geschichtswerkstatt beschreitet den gleichen Pfad. Sie arbeitet daran, Stolpersteine in die Dörfer des Landkreises Lüneburg zu bringen.

Inzwischen liegen mehr als 24 000 Stolpersteine in Deutschland, Österreich, Ungarn und in den Niederlanden. Auf Initiative von Lüneburger Bürgern und der Geschichtswerkstatt hat Gunter Demnig auch schon 26 Stolpersteine in Lüneburg verlegt. Die Steine sind mit einer Messingplatte versehen. Die Inschrift gibt Auskunft über Name, Geburtsjahr und das weitere Schicksal der Lüneburger Opfer des Naziregimes.

Peter Asmussen von der Geschichtswerkstatt sagt, es gibt durchaus Hinweise darauf, dass es auch auf dem Land Schicksale gibt, an die erinnert werden müsse. "Wir sind mit unseren Forschungen zwar noch am Anfang. Doch mir fallen wenigstens eine Handvoll Orte ein, in denen sich die Recherche lohnen würde", so Asmussen. Opfer habe es schon deshalb gegeben, weil fast überall Zwangsarbeiter vor allem aus Polen und der Ukraine in der Landwirtschaft eingesetzt wurden. So etwa in Obermarschacht oder Bardowick, das Asmussen als einstige Hochburg bei der Beschäftigung von Zwangsarbeitern bezeichnet. Und nicht immer wurden sie gut behandelt.

Er erinnert beispielsweise an den Mord am Polen Marjan Kaczmarek in Lüdershausen, der auf Befehl der Gestapo am 15. Oktober 1942 im Alter von nur 18 Jahren im Wald erhängt wurde.

"1942 gab es in Lüdershausen und Umgebung fast mehr Zwangsarbeiter als Einwohner", sagt Hobby-Historiker Asmussen. Die deutschen Männer waren an der Front. Die Nazis rekrutierten in Polen Zwangsarbeiter, die die Arbeit auf den Höfen erledigen mussten.

Erst kürzlich war Asmussen auf der Suche nach mehr Namen von Zwangsarbeitern aus dem Landkreis Lüneburg, hinter denen oft brutale Verbrechen stehen. Im Hauptstaatsarchiv in Hannover wurde er fündig. "Die meisten wurden wegen Arbeitsbummelei verhaftet und ins Lüneburger Gestapo-Gefängnis gebracht." Zurzeit wertet die Geschichtswerkstatt die Recherche aus. "Die Ergebnisse wollen wir Ende Januar kommenden Jahres vorstellen."

"Außerdem sind wir an dem Schicksal eines Sinti-Kindes dran, das aus Adendorf deportiert wurde. Eine Schulklasse mit ihrer Lehrerin erforscht zurzeit die Geschichte des Kindes", sagt Asmussen.

Dass auch jüdisches Leben vernichtet wurde, ist aus Bleckede bekannt. Erst vor kurzem weihte die Stadt einen Gedenkstein ein, der an die NS-Verbrechen erinnert.

Asmussen ist sicher, dass die Landbevölkerung auch Todesmärsche von KZ-Häftlingen aus Neuengamme und Bergen-Belsen gesehen hat. "Die Märsche gab es in den letzten Kriegstagen fast überall zwischen Heide und Elbe." So seien viele Gefangene nach Lübeck getrieben worden, um dort die "Cap Arcona" zu erreichen. Sie sollten übers Meer verfrachtet werden. Vor den anrückenden britischen Truppen wurden die verbliebenen KZ-Häftlinge aus dem Konzentrationslager Neuengamme Ende April 1945 nach Lübeck transportiert. Mehr als 9000 kamen von dort auf Schiffe. Die "Cap Arcona" wurde am 3. Mai 1945 kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs durch britische Flugzeuge versenkt, wobei die meisten der an Bord befindlichen 4600 KZ-Häftlinge ums Leben kamen.

"Es gab damals auch die sogenannte Heidebahn, die zwischen Soltau und Harburg fuhr. Auch auf dieser Strecke wurden Gefangene transportiert", sagt Asmussen.

Jörn Lütjohann hat von einem Augenzeugen inzwischen einen Hinweis erhalten, dass es auch einen der Märsche in Oldershausen gegeben haben soll. "Der Zug kam vom Ilmenaukanal und marschierte weiter in Richtung Elbe. Das ging über mehrere Tage. Vermutlich waren es KZ-Häftlinge", sagt Lütjohann. Anfangs, so der Zeuge, durfte die Dorfbevölkerung den Gefangenen keine Lebensmittel zustecken. In den folgenden Tagen jedoch duldeten dies die Wachleute und es wurden aus Futtertrögen heraus gekochte Kartoffeln verteilt.

Lütjohann will diese Geschichte zusammen mit seiner Frau Ute genau recherchieren und zudem weitere Mitstreiter aus den Orten der Elbmarsch für dieses und andere Forschungsprojekte gewinnen. "Wir müssen die Erinnerung an die schlimme Zeit wachhalten und dafür sorgen, dass so etwas nie wieder passiert", sagt er.

In der Elbmarsch, so vermutet er, könnte es weitaus mehr Schicksale von Menschen geben, die Opfer der brutalen Nazi-Verbrecher geworden seien, sagt er. "Es gibt Bahnanschlüsse wie in Oldershausen und auch die Dynamitfabrik in Geesthacht war nicht fern, in der möglicherweise Zwangsarbeiter beschäftigt wurden." Auch könnte es sein, dass Behinderte aus der Elbmarsch in der Psychiatrie in Lüneburg Euthanasie-Opfer wurden, sagt er.

Lütjohann hofft, dass viele Menschen aus der Elbmarsch mitforschen, sich zudem Schulklassen beteiligen. Zum einen sei es identitätsstiftend für ein Dorf, wenn Geschichte bewusst gemacht wird. Zum anderen erhofft er sich Zufallsfunde, zum Beispiel in Familien. "Schön wäre es, wenn vielleicht auch Nachweise für mutige Hilfsaktionen wie das Verstecken verfolgter Personen entdeckt werden."

Jörn Lütjohann ist zu erreichen unter Telefon 04133/22 32 28. Die Initiative "Stolpersteine in Lüneburg" der Geschichtswerkstatt trifft sich regelmäßig an der Heiligengeistraße 28 im DGB-Haus. Das nächste Mal ist für Montag, 10. Oktober, 19 Uhr, geplant. Telefonisch ist die Geschichtswerkstatt unter 04131/40 19 36 zu erreichen.