Eine wichtige Rolle bei der Wahlbeteiligung spielt der Bildungsgrad, sagt Professor Michael Thomas Greven, der Politik lehrt.

Lüneburg. Obwohl auf kommunaler Ebene über Bauprojekte, Förderung von Sportvereinen und Kulturinstitutionen entschieden wird, gehen immer weniger Menschen zur Wahl. Zwar haben am vergangenen Sonntag in der Stadt mit 48 Prozent (2006: 47,2 Prozent) und im Kreis mit 54,3 Prozent (2006: 52,9 Prozent) mehr Wahlberechtigte ihre Kreuze gemacht, dennoch beobachten Wissenschaftler seit Jahren einen bundesweiten Trend zu einer sinkenden Beteiligung an Kommunalwahlen. Geringer ist das Interesse nur noch an Europawahlen.

Für Reiner Faulhaber, den ehemaligen Stadtdirektor Lüneburgs ist die Tatsache, dass nur noch jeder Zweite sein Recht auf kommunaler Ebene mitzubestimmen wahrnimmt, unerfreulich. "Das ist nicht gerade ein klares Bekenntnis zur Demokratie", sagt Faulhaber. "Dabei sollte doch jeder wissen, wie glücklich wir uns in Deutschland schätzen können. Wir haben Meinungsfreiheit und soziale Absicherung."

Warum immer mehr Menschen den Urnen fern bleiben, kann Faulhaber nur mutmaßen. "Vielleicht liegt es an der immer komplizierter werdenden Materie, mit der sich die Menschen auseinander setzen müssen."

Zwei Wochen vor den Wahlen hatten die Meinungsforscher von Infratest dimap Menschen in Niedersachsen befragt. Als häufigsten Grund, nicht zur Wahl zu gehen, nannten sie vor allem mangelndes Interesse an Politik. Auf Platz zwei folgt die Enttäuschung über die Politik, wobei der Frust über kommunale Themen etwas stärker wiegt als der über Entscheidungen auf Bundesebene. Die Zahlen zeigen: Das allgemeine Desinteresse hat weiter deutlich zugenommen und die Enttäuschung als zentralen Grund für die Stimmenthaltung abgelöst.

Dabei gaben vor allem Anhänger der CDU an, zufrieden mit der Entwicklung des Landes zu sein. 77 Prozent der Befragten war der Meinung, das Land habe sich in den vergangenen fünf Jahren in die richtige Richtung bewegt. Verhaltener in ihrem Urteil waren vor der Wahl die Anhänger der Partei, die nachher das größte Stimmenplus verzeichnen konnte, der Grünen.

Dass Phänomen, dass auf dem Land mehr Menschen ihre Kreuzchen gemacht haben, als in der Stadt, kann sich Lüneburgs ehemaliger Stadtdirektor nicht erklären. "Auf dem Land kennt man sich, vielleicht sind dort die Bindungen noch stärker als in der Stadt, wo es doch anonymer ist." Während zum Beispiel in Salzhausen schon morgens die ersten Wahlurnen voll waren, blieben zwei Drittel der Wahlberechtigten in Kaltenmoor, einem Lüneburger Viertel, in dem viele sozial Schwache und Menschen mit Migrationshintergrund leben, zu Hause.

Eine wichtige Rolle bei der Wahlbeteiligung spielt der Bildungsgrad, sagt Professor Michael Thomas Greven, der an der Uni Hamburg Politik lehrt. "Je höher der Bildungsgrad, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass jemand wählen geht." Dies träfe auch für Wahlberechtigte mit Migrationshintergrund zu. "Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind eindeutig: auch hier ist der Bildungsgrad der entscheidende Faktor in Bezug auf die Wahlbeteiligung."

Die landläufige Behauptung, eine geringe Wahlbeteiligung käme vor allem kleinen Parteien zugute, lehnt der Hamburger Hochschullehrer ab. Es gäbe da keinen Automatismus. "Die kleinen Parteien, vor allem solche, die sich in der Gründungsphase befinden, wie die Piraten, können mitunter viele Wähler mobilisieren. Das hat vor allem mit persönlichen Kontakten, Netzwerken und den persönlichen Verpflichtungen der Anhänger zu tun."

Reiner Faulhaber macht vor allem die Programme der kleinen Gruppen und Parteien für ihren Erfolg verantwortlich. In der kommenden Legislaturperiode werden Vertreter von sieben Parteien im Lüneburger Stadtrat vertreten sein. Neben CDU, SPD, Grünen, Linken und FPD, sitzen erstmals auch die Piraten und die Rentnerpartei mit am Tisch. "Sie konnten mit ganz bestimmten Themen bei den Wählern punkten", sagt Reiner Faulhaber. Mit der Wahlbeteiligung habe das aber nichts zu tun.

Darüber, ob und wie man wieder mehr Menschen überzeugen kann, ihr Wahlrecht zu nutzen, ist die Wissenschaft uneins. Reiner Faulhaber sieht die Parteien in der Pflicht. "Es muss gelingen, mit den Inhalten junge Menschen anzusprechen und für Politik zu begeistern. Ihnen muss die Möglichkeit geboten werden, ihre Ideen einzubringen und umzusetzen. Letztlich wählen junge Leute doch eher junge Leute."