Ehemalige und gegenwärtige Patienten zeigen faszinierende, äußerst sehenswerte Kunstwerke in der Psychiatrischen Klinik.

Lüneburg. Sie braucht die Farben, um wieder Licht zu sehen. "Sie sind die schöne Verpackung für die Inhalte", erklärt Dorothee Berger ihre farbenprächtigen Bilder. Und die haben es in sich: Wenn man genauer hinsieht, erkennt man hinter der bunten Oberfläche Frust, Angst, auch Wut. Es sind bemerkenswerte Gemälde, technisch hochwertig, mit vielen kleinen, tiefsinnigen Details. Die 49-jährige Lüneburgerin ist eine von 18 ehemaligen oder gegenwärtigen Patienten, die derzeit in der Psychiatrischen Klinik Lüneburg (PKL) ausstellen. Eine Schau, die man sich unbedingt ansehen sollte.

"Innenansichten" lautet der Titel der Ausstellung. Und die sind keineswegs so düster, wie man sich das bei psychisch kranken Künstlern vielleicht vorstellen würde. Im Gegenteil: Die meisten der 122 Exponate wirken fröhlich, farbenprächtig, lebensbejahend. So wie die Bilder von Dorothee Berger, die manchmal geradezu witzig wirken. Dass dahinter aber eine andere Aussage steht, ist der Künstlerin beim Malen häufig selbst nicht klar "Ich erkenne oft erst später, was ich da eigentlich gemalt habe. Da hat die Veränderung dann schon stattgefunden."

Gemeint ist die Veränderung in ihr selbst. "Etwas von sich öffentlich zu machen, hat eine große therapeutische Wirkung", erklärt Dr. Sebastian Stierl, Ärztlicher Direktor der PKL. "Der künstlerische Ausdruck schafft andere Begegnungsmöglichkeiten als nur das Wort. In der Kommunikation stoßen wir häufig an Grenzen." Ergotherapeutin Christina von der Ohe fügt noch einen weiteren Aspekt zu: "Wenn ich ein Bild male, kann ich es sprichwörtlich näher holen oder wegschieben, so wie es gerade aushaltbar ist."

Auch wie viel der Künstler von sich preisgibt, kann er so selbst entscheiden. "Genau wie bei einer 'normalen' Ausstellung sind hier auch Bilder zu sehen, die eher unter technischen oder ästhetischen Aspekten interessant sind. Ein Mandala hat natürlich eine ganz andere Intensität als ein Porträt", sagt Psychiater Stierl.

Sein Innerstes auf die Leinwand gemalt hat beispielsweise Carsten Tiedtke. Der 40-Jährige zeigt in der Ausstellung unter anderem eine Triologie von Selbstbildnissen: einmal die Hände ringend, einmal von hinten, einmal von vorne - augenlos. "An diesem Bild hat Carsten Tiedtke anderthalb Jahre gemalt", erzählt die Ergotherapeutin. "Er hat es wieder und wieder übermalt, das war ein ganz, ganz tiefer, unglaublicher Prozess". Er könne sich keine Augen malen, er gucke ja nur nach innen, habe Tiedtke irgendwann festgestellt.

Sein Seelenleben so öffentlich zu machen, sei für die meisten der ausstellenden Künstler ein sehr großer Schritt gewesen, so von der Ohe. "Die meisten unserer Patienten sind ja sehr in sich verschlossen, sich so zu öffnen, ist wahnsinnig mutig und eine großartige Leistung."

Aber gibt es eigentlich einen Zusammenhang zwischen Kreativität und psychischer Erkrankung? Ist etwas dran am Bild von Genie und Wahnsinn? "Nein, nicht wirklich", sagt Dr. Stierl. "der Anteil von Künstlern unter den psychisch Kranken ist nicht überdurchschnittlich hoch." Genauso wenig wie die Suizid-Rate. "Bei den Psychiatern ist sie deutlich höher", meint er lächelnd. "Wir sind nur knapp unter den Ärztinnen auf Intensivstationen, die führen die Statistik an."

Grundsätzlich sei es wohl so, dass kreativ veranlagte Menschen offener und selbstreflektierter seien, glaubt von der Ohe. "Wenn jemand so ein stumpfer Klotz ist, kann er kaum vermutlich künstlerisch tätig werden."

Dennoch habe die Kunst in der Psychatrie sicherlich einen besonderen Stellenwert, so Stierl. "Doch die Grenzen sind nicht scharf. Bis heute streiten sich die Kunstwissenschaftler darüber, inwieweit die psychischen Erkrankungen etwa von Munch oder van Gogh bei ihrer Kunst eine Rolle gespielt haben." Die im 19. Jahrhundert übliche Annahme, dass besondere Fähigkeiten im geistigen Sinne häufig zu psychischen Erkrankungen führen, sei jedoch widerlegt.

Erst mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts habe man begonnen, sich überhaupt mit der Thematik psychische Krankheit und Kunst zu befassen. "Maler wie Max Ernst haben sich mit Bildern von Kindern und Geisteskranken befasst. Das war neu."

Heutzutage nimmt Stierl eine zunehmende Akzeptanz für psychisch kranke Künstlern wahr. "Im Alltag wird das Thema ja häufig stark stigmatisiert: Wenn Sie bei der Wohnungsbesichtigung sagen, sie seien psychisch krank, dann schmelzen die Aussichten auf einen Mietvertrag weg wie Butter in der Sonne. Der soziale Absturz ist häufig Teil der schweren psychischen Erkrankung."

Offensichtlich sei über das Medium "Kunst" eine Wertschätzung psychisch Kranker und ihres Schaffens möglich. "Und das nützen wir eiskalt aus", sagt der Ärztliche Direktor schmunzelnd. "Wir wünschen uns, dass möglichst viele Menschen hierher zu uns kommen und die Klinik kennenlernen."

"Innenansichten" ist noch bis zum 23. September montags bis freitags von 10 bis 17 Uhr, sonnabends und sonntags von 12 bis 17 Uhr zu sehen. Der Eintritt ist frei. Am 25. September findet von 11 bis 17 Uhr ein Abschlussfest statt, bei dem viele der Kunstwerke auch ersteigert werden können.