“Unser Dorf“: Die Abendblatt Regionalausgabe geht auf Sommertour. Die 19. Station führt weit nach Westen, nach Eyendorf.

Eyendorf. Wenn Familie Coats aus dem Urlaub zurückkehrt und mit dem Auto über die Landstraße in Richtung ihrer Heimat Eyendorf fährt, spielt sie ein lieb gewordenes Spiel, das da heißt: "Wer als erster die Flügel der Mühle erkennt, hat gewonnen." Denn eine sanfte Hügellandschaft führt hin zum Dorf, die den Blick auf die mächtigen Flügel der strahlend weißen Mühle erst relativ spät freigibt.

"Da steht sie stolz wie eine Braut in Weiß mit Flügeln als Symbol der Freiheit", schwärmt Stephanie Coats. Die 51-Jährige lebt mit zwei Kindern und ihrem Mann, einem Industrietaucher, seit vier Jahren in Eyendorf. Die gelernte Schneiderin und Direktrice fertigt traumhaft schöne Roben - auch für den schönsten Tag im Leben einer Frau: Die Hochzeit. Genäht hat sie Roben für die Royals und weiß seitdem: "Es ist schöner für Frauen zu fertigen, die Prinzessinnen für einen Tag sind, als für richtige Prinzessinnen." Coats und Familie haben nach unzähligen Umzügen endlich eine Heimat in der ehemaligen Sattlerei in der Dorfstraße gefunden. Ein Schaufenster hin zur Straße öffnet den Blick auf edle Stoffe und wallende Kleider.

Der Zufall will es, dass es im Dorf einen bekannte Heiratsstätte gibt. Eben jene Mühle von 1897. Das heutige Mühlenmuseum ist Außenstelle des Standesamts Salzhausen. "Getraut werden kann hier täglich", sagt Werner Borrée, Vorsitzender des Mühlenvereins. Der Verein mit 240 Mitgliedern ist seit fünf Jahren Besitzer des Erdholländers. "In dieser Zeit fanden hier 225 Trauungen statt", so Borrée.

Die Hochzeitsgesellschaften kommen aus Oberbayern, Berlin oder dem Ruhrgebiet. Mittlerweile übertreffen die Beiträge der Hochzeiten die der Vereinsmitglieder. Das Geld macht den Verein autark. "Damit können wir alle Maßnahmen, die anfallen, aus eigener Tasche bezahlen", freut sich der Vorsitzende.

Ein Übriges steuert der Verkauf des Mühlenbrotes bei. Das kernige Roggenschrotbrot nach altem Rezept backt Bäcker- und Konditormeister Herbert Diekert aus Salzhausen. Zehn Prozent des durch eine Banderole gekennzeichneten Eyendorfer Mühlenbrotes wandert in die Vereinskasse.

Nicht minder kernig geht es bei Frischkorns im Bäckerstieg zu. Landschlachtereien, in denen wöchentlich geschlachtet und verarbeitet wird, sind mittlerweile eine Seltenheit. Dies Aufgabe bewältigen in Eyendorf Schlachtermeister Edwin und Junior Johann. Verkauft wird die Ware im Eyendorfer Laden oder auf verschiedenen Wochenmärkten, darunter der Isemarkt in Hamburg und der Lüneburger Wochenmarkt.

"Wir in Deutschland haben das große Problem, dass Nahrungsmittel billiger als billig sein sollen und im Durchschnitt nur 15 Prozent des Einkommens für Lebensmittel ausgegeben werden", sagt Frischkorn und beißt dabei herzhaft in ein mit frischem Kassleraufschnitt belegte Brötchenhälfte. Vor 20 Jahren hat der 55-Jährige sein Geschäft eröffnet. In Dorf lässt es sich für ihn und seine Familie gut leben, auch wenn nicht alle Bürger an der Schlachtertheke anstehen.

Vereint zeigt sich die Bürgerschaft im Sportverein: "Eyendorf ist Handball." So formuliert es Bürgermeister Reinhold Spieker. Frischkorn würde sagen: "Handball ist die Nummer Eins - mit Abstand." Sohn Johann (27) ist derzeit führend im Tor der 1. Herren-Mannschaft.

"Bis zur letzten Saison haben wir in der Oberliga Niedersachsen gespielt", so Spieker (70). Der Abstieg in die Verbandsliga sei für die Eyendorfer keine Beinbruch. Im Gegenteil, es motiviert umso mehr. "Immerhin bleiben wir der einzig noch höherklassig spielende Verein in den Landkreisen Harburg, Lüchow-Dannenberg, Lüneburg und Celle", sagt der Bürgermeister des 1250 Einwohner zählenden Ortes, der zur Samtgemeinde Salzhausen gerechnet wird.

Was als Feldhandball nach dem Krieg begonnen hat, ist heute eine Erfolgsgeschichte. "Wenn alle zwei Wochen die Mannschaft der 1. Herren antritt, dann drängen sich 400 Zuschauer in unserer Sporthalle", sagt MTV-Vorsitzender Stefan Schenzel.

500 Einwohner sind Mitgliedes des örtlichen Sportvereins. In Eyendorf entscheiden sich Jungen nicht für Fußball sondern für Handball. Damit auch die anderen Sportarten nicht zu kurz kommen, baut der Verein an. Für rund einen halbe Million Euro entsteht ein Anbau an die Sporthalle. Weil Eyendorf ein Dorf mit gesunden Finanzen ist, kann es sich nicht nur am Hallenausbau mit 173 000 Euro beteiligen. Auch den Bau einer Friedhofskapelle finanzierte die Gemeinde mit 50 000 Euro. Es folgen mit weitem Abstand Schützenverein und Feuerwehr. Es gibt viele Stimmen aus dem Dorf, die sagen: "Erst wenn wir keinen Ball mehr werfen können, wird für uns der Schützenverein interessant."

Geselligkeit in Eyendorf wird aber auch außerhalb des Spielfeldes gelebt. Beispielsweise im Landhaus Eyendorf und dem Haus Sander, einem Familienbetrieb seit 1929. Dort kehrt allabendlich der Bürgermeister ein. Was die Küche betrifft, bleib kein Wunsch offen. Küchenmeister Torsten Sander kocht am Wochenende selbst. Groß sind Sanders beim Ausrichten aushäusiger Veranstaltungen. "Hochzeiten im Zelt sind besonders aufwendig, weil alles herangeschafft werden muss. Das ist ähnlich, wie ein Haus zu bauen."

Sander ist zudem Mitglied im Gemeinderat. Zur diesjährigen Kommunalwahl gibt es wieder eine gemeinsame Liste der Wählerliste Eyendorf (WLEY). Die Wahl ist eine reine Personenwahl von Bürgern, die gemeinsam für solide Finanzen, den Erhalt der Grundschule, eine behutsame Gemeindeentwicklung und den Erhalt der Eigenständigkeit der Gemeinde kämpfen.

Vor acht Jahren wies die Gemeinde ein neues Baugebiet aus. Seitdem sind 150 neue Bürger nach Eyendorf gezogen.

Trotz Veränderungen im Ort ist die ursprüngliche Dorfstruktur erhalten geblieben und das Verhältnis zwischen Alt- und Neubürgern gut. Das gefällt Elke Moll. Die 51-Jährige zog vor 18 Jahren in den Ort. Ihr eilt der Ruf einer Gartenexpertin voraus und tatsächlich gilt ihr Garten als einer schönsten im Landkreis. In dem gewachsenen Anlage finden Zeitschriften abwechslungsreiche Fotomotive.

Für die Öffentlichkeit zugänglich ist das kleine Paradies am "Tag der offenen Gartenpforte", der vor einigen Wochen stattgefunden hat.

Handfester zeigt sich die Kunst von Metallbaumeister Ulf Petersen (53). Der Maler und Bildhauer lebt für seine Kunst. "Die Leute hier akzeptieren mich. Gerechnet damit habe ich eigentlich nicht", gesteht der Metallbaumeister der als Grubenschlosser in einem Steinkohlebergwerk im Ruhrgebiet gearbeitet hat.

Petersen hat immer Kunst gemacht. Zu sehen sind Exponate von ihm zum Beispiel in Wilhelmsburg. Dort hat der Künstler gemeinsam mit jugendliche Erwachsenen eine Metallskulptur zum Thema "Ausdrucksformen kultureller Identität" geschaffen. Das Kunstwerk soll einen Prozess zur Förderung des interkulturellen Miteinanders an diesem Ort anstoßen.

Wer neugierig ist, kann Petersens Arbeiten während der "Kunst-Werk-Wege" (organisiert von der GalerieHinterDerKircheVier in Egestorf) am 20. und 21 August von 11 bis 19 Uhr in seiner Kunstwerkstatt am Stellahfeld 2 in Eyendorf besichtigen.