Besetztes Haus in der Frommestraße wurde geräumt. Aktivisten empfanden Einsatz als “unverhältnismäßig“, Polizei spricht von “friedlichem Verlauf“

Lüneburg. Es ging alles ganz schnell. Quasi aus dem Nichts stürmt eine Hundertschaft Polizisten heran, in Zweierreihen, volle Kampfmontur. Rücksichtslos trampeln sie über die wartenden Jugendlichen, treten auf Arme, Beine, einen Kopf. Und bahnen sich so den Weg in das Haus Frommestraße 2. Nach monatelangem Hin und Her wurde das Gebäude, das Immobilienmakler Sallier gehört und von knapp fünfzig Jugendlichen als Treffpunkt und Kulturzentrum genutzt wurde, am gestrigen Dienstag geräumt und bereits teilweise abgerissen.

Es war eine ergreifende Szenerie, die sich den zahlreichen Zuschauern bot. Während militärisch vermummte Polizisten das Gebäude sichern, machen die Besetzer Musik. Sie haben Gitarren mitgebracht, ein Akkordeon, Trommeln, Rasseln und ein selbstgebautes Didgeridoo. Ein paar Meter weiter ist ein Frühstücksbuffet aufgebaut.

Dann eine Durchsage. "Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei." Der Rest der Ansage geht im Pfeifkonzert unter. Etwas von "Störung öffentlicher Sicherheit" ist zu hören, etwas von "strafrechtlichen Normen". Und noch etwas: "Ich fordere Sie auf, das Gebäude bis acht Uhr zu verlassen."

Acht Uhr. 45 Minuten. 45 Minuten in einem Haus, "in dem wir auch gestritten haben, sicher, aber wir waren glücklich!", sagt einer der Fromme-Freunde. Große Pläne hatten sie: Das Haus sanieren, Workshops anbieten, Raum für Diskussionen, ein Bücher-Wohnzimmer, eine Volksküche und vieles mehr. "Wir haben in den letzten Tag so unheimlich viel Unterstützung von der Bevölkerung erhalten", erzählt Michael Morawa. "Werkzeug, richtig teure zum Teil, jede Menge Tipps, Essen. Wir wussten manchmal gar nicht, wohin mit dem Essen. Alle wollten helfen."

Doch es ist zu spät: acht Uhr. Schon vor einer Viertelstunde ist ein Tieflader gekommen, hat Bauzäune gebracht. Die Musik wird lauter, es wird geklatscht, getanzt, jemand spielt Panflöte.

Wieder eine Durchsage, eine letzte Chance, das Haus zu verlassen - bis 8.20 Uhr geht die Frist.

Es geht niemand. Im Haus ist sowieso niemand mehr, leer geräumt hätten sie es in der vergangenen Nacht, erzählt Morawa. Sieben Jugendliche sitzen noch auf den Stufen vor der Haustür, eng aneinandergeschmiegt.

Dort sitzen sie auch noch um 8.20 Uhr, als jemand per Megafon "gemäß Paragraf acht, Absatz 2, des niedersächsischen Versammlungsgesetzes" die "Versammlung" der Jugendlichen offiziell auflöst und die Besetzer ein letztes Mal zum Gehen auffordert. "Falls Sie dieser Anweisung keine Folge leisten, weise ich Sie darauf hin, dass diese unter Anwendung unmittelbaren Zwanges durchgesetzt werden kann."

Daraufhin spielen sich Szenen ab, die man sonst nur aus dem Fernsehen kennt. Die Polizisten schwingen ihre Stöcke, drücken Köpfe nach hinten, verdrehen Arme, schleppen die Jugendlichen gewaltsam fort. "Ich bin freiwillig gegangen", erzählt eine der sieben Sitzenden später, "mir hätte am Anfang fast einer den kleinen Finger gebrochen, als er mir die Hand verdreht hat. Dabei habe ich gar nichts gemacht, bin da einfach nur gesessen."

"Furchteinflößend" und "unnötig aggressiv" sei der Einsatz der Polizisten bei der Räumung des Hauses gewesen, finden die Besetzer der Frommestraße 2. Und nicht nur sie: Zahlreiche Nachbarn, auch viele ältere Leute, zeigten sich mit den Jugendlichen solidarisch, bezeichneten das Vorgehen der Polizisten als "unverhältnismäßig".

"Die sind zu fünft auf ihn los, er stand da einfach, und dann haben sie ihn auf den Boden geworfen, mit Knie im Rücken!" Fassungslos beobachten Aktivisten und Anwohner, wie Besetzer gewaltsam abgeführt werden. "Hier passiert nichts Schlimmes, das sieht nur so aus", will ein Polizist am Megafon beruhigen, "das ist nur eine Personalien-Aufnahme." Warum man denjenigen nicht einfach nach seinen Personalien gefragt, sondern brutal abgeführt hätte, will jemand wissen. Keine Antwort.

Mehrmals im Laufe des Vormittags kommt es zu Eskalationen, meist in Sachen Personalien-Ermittlung, die Jugendlichen spucken und treten. Zehn Strafverfahren seien eingeleitet worden, erklärte Polizeisprecher Kai Richter: sieben gegen Besetzer (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung), drei gegen Polizisten wegen Beleidigung. Außerdem wurden laut Richter 26 Personalien festgestellt und zwanzig Platzverweise ausgesprochen. Insgesamt zeigte sich Richter aber mit dem Verlauf der Räumung zufrieden: Sie sei "absolut friedlich verlaufen".

Den ganzen Tag bleiben die Jugendlichen vor Ort. Sie machen Musik, organisieren eine Demo zum Maklerbüro Sallier und vors Rathaus - und werden dabei hervorragend von der Polizei unterstützt, die kurzfristig Straßen sperrt. "Es geht schließlich nicht nur um die Frommestraße 2", erklärt Morawa, "sondern auch um die Katzenstraße, die Nordlandhalle und die Frommestraße 4." Die alternative Szene würde überall aus der Stadt gedrängt. "Das ist das eigentliche Problem."

Das sieht Angela Potzkai aus der Hindenburgstraße 99 genauso. "Ich habe das Gefühl, es wird in unserer Gesellschaft nicht mehr gern gesehen, wenn sich Leute zusammenschließen."

Sie selbst ist strikt gegen einen Neubau: "Täglich tauchen bei mir in der Wohnung neue Risse auf, und bei der Probebohrung von Herrn Sallier ist im Bad die Wasserleitung abgerissen", erzählt sie. "Ich habe Panik, dass das Haus einstürzt." Die Jugendlichen in der Frommestraße 4 wird sie vermissen, sagt sie. "Die haben so tolle Sachen gemacht, es war unheimlich spannend und interessant."

Die sehen inzwischen mit Tränen in den Augen den Abrissarbeiten zu. Was sie jetzt machen werden? "Ich weiß es nicht", sagt einer. "Wir bleiben hier", sagt Michael Morawa fest. "Das ist hier noch nicht zu Ende."