Mehr als zwei Drittel der Pädagogen an niedersächsischen Schulen sind weiblich. Bildungsexperte Klaus Hurrelmann fordert eine 30 Prozent-Quote

Lüneburg. Mädchen haben in der Schule die Nase vorn. Und nicht nur da: "Sie brechen allmählich in die angestammten Domänen der männlichen Schüler ein und ziehen auch in den Naturwissenschaften an ihnen vorbei", sagt Klaus Hurrelmann, Fachmann Sachen Bildung. Und die Jungs? Sind sie die Bildungsverlierer?

Darüber referierte jüngst der Experte und Mitautor der Shell-Studie zur Untersuchung zum Sozialverhalten von Jugendlichen in Deutschland an der Leuphana Universität. Ja, die jungen Männer sammeln sich immer stärker in Hauptschulen, Sonder- und Förderschulen, wo sie mitunter 70 Prozent der Schülerschaft stellen. "Sie tun sich schwer damit, ihre soziale Rolle in der modernen Gesellschaft zu definieren und ein neu gefasstes Verständnis von Männlichkeit aufzubauen", so der Soziologe, Psychologe und Pädagoge. Belegte Forschungsergebnisse zu den Ursachen dieser Entwicklung gibt es bisher nicht. Doch Hurrelmann nennt einige Thesen. Dazu zählt das Festhalten an traditionellen Männerrollen. Auch gehen Jungen offenbar mehrheitlich davon aus, Lesen, Schreiben und sprachliche Geschicklichkeit seinen unmännlich und obendrein für den späteren Beruf unnötig. Ferner fokussieren sie sich oftmals einzig auf den Beruf als Lebensinhalt; während Mädchen eine offene Lebensplanung wählen und neben Kindern und sozialen Interessen auch die Karriere einbeziehen.

Deshalb plädiert der 67-Jährige Senior Professor an der Hertie School of Governance in Berlin unter anderem für eine gezielte Jungen- und Männerförderung in Anlehnung an die seit 30 Jahren erfolgreiche Mädchen- und Frauenförderung. Auch fordert Hurrelmann die Stärkung des Männeranteils in pädagogischen Berufen. "30 Prozent Männer müssen es mindestens sein."

Bereits 2003 wies der damalige niedersächsische Kultusminister Bernd Busemann (CDU) darauf hin, dass 70 bis 80 Prozent der Lehrerkräfte Frauen seien, in den Grundschulen nahezu hundert Prozent. Weil sich der Schulbetrieb feminisiert habe, hätten Jungen es schwerer, die Lernanforderungen zu erfüllen, zudem fehlten die männlichen Rollenvorbilder. "Wir müssen dringend mehr Männer in den Schuldienst bringen, am besten wäre eine Männerquote", sagte Busemann.

Stattdessen halten die Frauen Einzug, Tendenz: Weiter steigend. Der Anteil der Frauen im niedersächsischen Schuldienst betrug 2009 insgesamt 68,7 Prozent (67,9 Prozent im Vorjahr). Der Anteil der Lehrerinnen an Grundschulen liegt bei 89,1 Prozent. Im Bereich der Landesschulbehörde Lüneburg sind von den 2009 gezählten 14 971 Lehrern 10 443 weiblich.

Die schwindende Zahl der männlichen Kollegen erklärt Elke Scherwinsky, Gleichstellungsbeauftragte der Landesschulbehörde Lüneburg: "Viele Abiturienten studieren nicht auf Lehramt, weil es dem Beruf immer noch an der Anerkennung mangelt, die ihm zusteht. Es ist wichtig, das Bild von Lehrkräften in der Öffentlichkeit zu verbessern, damit auch junge Männer diese Aufgabe als eine Herausforderung annehmen. An der Bezahlung allein kann es nicht liegen, denn auch am Gymnasium gibt es mittlerweile einen höheren Anteil von Lehrerinnen."

Kritisch beurteilt Scherwinsky die von Hurrelmann geforderte spezielle Jungen- und Männerförderung. Es sei nicht notwendig, die Geschlechter gegeneinander auszuspielen. Alle Ressourcen müssten genutzt werden, um gezielter Ideen zur Förderung von Mädchen und Jungen entwickelt zu können.

Vermehrt männliche Lehrer wünscht sich Georg Fruck, Fachseminarleiter für Biologie am Studienseminar in Buchholz. Vornehmlich Referendarinnen besuchen seine Seminare. Fruck weiß er aus eigener Erfahrung als Lehrer: "Die Schüler empfinden es häufig bei herrschender Frauendominanz als Wohltat, auch einmal von einem Mann unterrichtet zu werden."

Forschungsergebnisse wie die des Soziologen Marcel Helbig sagen etwas anderes. Helbig promoviert am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und hat festgestellt, dass Lehrerinnen keine Schuld an der Schulkrise der Jungen trifft. Dass männliche Lehrkräfte sich nicht positiv auf den Bildungserfolg von Jungen auswirken. Und der pauschale Ruf nach Männern im Lehramt sogar nachteilige Folgen für die Kompetenzentwicklung von Jungen und Mädchen haben kann.