Dirk Werner vom Lüneburger Aktionsbündnis gegen Atom sprach mit der Rundschau über Fukushima, Krümmel und das Moratorium der Regierung.

Lüneburg. Das Drama um das japanische Atomkraftwerk Fukushima hält die Welt in Atem. Der Kampf gegen den drohenden Super-GAU hat auch in Deutschland die Diskussion um den Ausstieg aus der Kernenergie wieder angefacht. Die Rundschau sprach mit Dirk Werner vom Lüneburger Aktionsbündnis gegen Atom (LAgA) über das Moratorium der Bundesregierung, Krümmel und Eckhard Pols.

Lüneburger Rundschau: Nach den gravierenden Problemen im AKW Fukushima hat die Bundesregierung ein Moratorium für die sieben ältesten Atomkraftwerke erlassen. Wie bewerten Sie den Schritt?

Dirk Werner: "Aussetzen" heißt doch nicht "Abschalten". Das ist Wahlkampfgeklingel. In drei Monaten kann man nicht seriös die Sicherheit von Atomkraftwerken prüfen. Die Regierung Merkel fährt weiter auf ihrem tödlichen Atomkurs.

Die schleswig-holsteinische Landesregierung will Gespräche mit dem Krümmel-Betreiber Vattenfall führen, damit Krümmel nicht wieder ans Netz geht. Wie optimistisch sind Sie?

Werner: Ich bin skeptisch, deshalb werden wir weiter auf die Straße gehen. Vattenfall ist der Profit immer wichtiger gewesen als die Sicherheit. Krümmel hat eine sehr lange Geschichte an Pleiten, Pfusch und Pannen, die schon mit dem Zusammenschweißen der Anlage begann.

Wie bitte?

Werner: Die ringförmigen Teile des Druckbehälters passten nicht aufeinander. Anstatt die Hochsicherheitsteile wieder an die italienische Firma zurückzuschicken, wurden sie mittels Hydraulikpressen um bis zu zehn Zentimeter verformt und dann verschweißt. Stellt man sich vor, dass der Reaktordruckbehälter das am stärksten druckbelastete Bauteil und gleichzeitig das wichtigste Sicherheitselement ist, das ein AKW besitzt, bedeutet das für Krümmel den eingebauten Super-GAU. Sollte es jemals zu einer außergewöhnlichen Druckbelastung kommen, könnte der Reaktordruckbehälter bersten. Das wäre sogar im normalen Betrieb möglich.

Sie haben den CDU-Bundestagsabgeordneten Eckhard Pols kürzlich öffentlich kritisiert. Er vertrete nicht die Interessen der Menschen in seinem Wahlkreis. Erwarten Sie, dass er sich einer Debatte um die Atomkraft jetzt stellen wird?

Werner: Das Aktionsbündnis fordert von Herrn Pols, dass er sich im Sinne seines Wahlkreises für ein zügiges Abschalten aller Atomanlagen einsetzt. Angesicht seiner jüngsten Äußerungen haben wir große Zweifel, dass Herr Pols in irgendeiner Weise bereit ist, seine bisherigen Positionen zu hinterfragen. Er hat gezeigt, dass er ein Atomfanatiker ist. Während andere Politiker und Politikerinnen der schwarz-gelben Regierung zumindest ankündigen, ihre Haltung zur Atomkraft zu überdenken, stellt Pols sich weiter als unerschrockener Atomkraftbefürworter dar. Bei Diskussionen um Asse oder Gorleben hat er klar gemacht, dass er von seinem Pro-Atomkurs nicht abrückt. Mit welcher Selbstverständlichkeit sich Herr Pols als "Volksvertreter" fühlt, ist mir schleierhaft. Er hat nicht die Mehrheit der Wählerstimmen in seinem Wahlkreis. Bei der Bundestagswahl konnte er bei einer Wahlbeteiligung von nicht einmal 75 Prozent nur 33,3 Prozent der Stimmen auf sich vereinen.

Sehen Sie die Anti-Atombewegung in Deutschland durch die Ereignisse in Fukushima bestätigt und gestärkt?

Werner: Wir sind genauso geschockt von den Zuständen in Japan wie alle anderen. Da kann es keine stille Freude über ein sogenanntes Erstarken der Anti-AKW-Bewegung geben, geschweige denn strategische Überlegungen, wie lange der Effekt anhält. Atomkraft ist eine unverantwortliche Technologie, alle AKWs weltweit gehören abgeschaltet. Der Ausstieg wird auch weiter auf der Straße gemacht, besonders durch einen Wechsel des Stromanbieters.

Erstmalig hat jetzt der niedersächsische Ministerpräsident McAllister (CDU) nachdenklichere Töne in Sachen Atomkraft angestimmt. Ein Kurswechsel?

Werner: Nein, die Aussagen von Herrn McAllister sind Blendwerk. Er sagt, die Kernschmelze müsse beherrschbar sein, Nachrüstungen sollten auf diesen Fall ausgerichtet sein. Was bedeutet das anderes als den Weiterbetrieb unter veränderten Bedingungen? Die ewige Rede vom Restrisiko soll neben vielen anderen verharmlosenden Formulierungen suggerieren, dass ein vernachlässigbarer Rest eines ansonsten hinnehmbaren Risikos existiert. Dass aber genau dieser Rest uns den Rest geben wird, müssen wir jetzt schmerzlich in Japan sehen. McAllister ist die Oberaufsicht der Atombehörde in Niedersachsen, da ist bisher nie was gekommen zur Frage der Sicherheit. Im Schatten von Japan läuft Gorleben weiter.

Das Ausland wirft uns vor, die Debatte um die Atomkraft rein emotional und viel zu egoistisch zu führen.

Werner: Diese Vorwürfe gelten vor allem den Mit- und Beileidsbekundungen unserer regierenden Politiker, sie klingen alle irgendwie auswendig gelernt. Ich habe nicht das Gefühl, dass das wirklich aus dem Herzen hervorsprudelt. Die Antiatombewegung in Lüneburg hatte schon immer eine starke politische Meinung. Natürlich sind wir hier wegen Krümmel und Gorleben auch sehr betroffen, aber noch lange nicht mundtot und egoistisch. Unsere Bewegung wird auch für Japan eine atomfreie Zukunft ermöglichen. Fakt ist, dass jetzt auch in anderen Ländern die Menschen auf die Straße gehen. Die Regierungen müssen ihr Atomprogramm überdenken. Deutschland könnte mit einem "sofortigen" Ausstieg eine Vorreiterrolle haben. In einer neuen Studie zeigt das Ökoinstitut im Auftrag des WWF, wie ein Ausstiegsszenario aus der Atomkraft bis 2020 in Deutschland aussehen kann.