Steffen Brettschneider und sein Team sollen während des Castor-Transports Aggressionen und Gewalt verhindern

Lüneburg. Als Niedersachsens Konfliktmanager 2001 zum ersten Mal bei einem Castor-Einsatz auftraten, hieß es: Presse-Gag. Die werfen wohl mit Wattebäuschchen. Von dem Status der Belächelten haben sich die Frauen und Männer mittlerweile emanzipiert. Heute wissen alle Polizisten: Die Kollegen mit den roten Westen sind eine echte Unterstützung.

Mit 14 Teams à zwei bis vier Mann ist die Abteilung Konfliktmanagement - in dieser Form einzigartig in Deutschland - seit Montag in der Region im Einsatz.

Steffen Brettschneider ist ihr Chef. Der 52-Jährige ist gar kein Polizist, er ist Sozialpädagoge. Seit zwölf Jahren arbeitet der Mann aus Peine bei der Polizei, im Bereich sozialwissenschaftlicher Dienst. In der Abteilung beschäftigt die Polizeidirektion Psychologen, Politologen, Pädagogen, Supervisoren - und eben Sozialpädagogen wie Steffen Brettschneider.

Er und sein Kollege, ein Psychologe der Bundespolizei, schicken Teams raus bei Demonstrationen mit Gegendemonstrationen, der Fußball-WM oder eben Castor-Transporten - "besondere Aufbausituationen" heißt das auf Polizeideutsch.

"Konfliktmanagement ist der Versuch, Bedingungen zu beeinflussen, die Gewalt generieren oder aufrecht erhalten", sagt Steffen Brettschneider. Das heißt: Gewalt vermeiden oder vermindern. "Wir sind aber keine Mediatoren und nicht neutral. Wir sind Polizei."

Und doch ist etwas anders, wenn ein Polizist die rote Konfliktmanager-Weste über seine grüne oder blaue Uniform zieht: Dann gelten nicht mehr bloße Fakten, nicht mehr schwarz und weiß, nicht mehr falsch und richtig, Null und Eins. "Dann gilt es, sämtliche Schattierungen wahrzunehmen", sagt Brettschneider. "Mit Fingerspitzengefühl. Wir bieten die Stimmungsbilder zu den polizeilichen Fakten. Wir beraten, und wir weisen auf mögliche Folgen hin."

Wer seit Montag als Konfliktmanager in Lüchow stationiert ist, hat sich freiwillig dafür gemeldet. Anders als die anderen Tausende Polizisten, die den Castor-Zug bewachen. 2008 waren es bundesweit rund 16 000, in Niedersachsen 10 000. Dieses Jahr werden es laut Brettschneider "nicht mehr als beim letzten Mal" werden. Wohl aber mehr Demonstranten: 15 000 kamen vor zwei Jahren, für dieses Wochenende geht Brettschneider von "20 000 plus x" aus, die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg rechnet sogar mit 30 000 bis 40 000 Atomkraftgegnern in der Region.

Für die Großkundgebung am Sonnabend ab 13 Uhr in Dannenberg erwartet Brettschneider trotz der erwarteten Massen keine Ausschreitungen. "Ich rechne damit, dass es so unproblematisch wird wie beim letzten Mal." Die Polizei werde "sich zurückhalten", nicht etwa mit Wasserwerfern parat stehen: "Dafür gibt es keinen Grund." Menschen, die zum ersten Mal im Wendland demonstrieren wollen, rät Brettschneider daher die Teilnahme an der Auftaktveranstaltung: "Es wird zwar chaotisch, hinzukommen. Aber die Demonstration steht unter dem Schutz des Artikels 8: ein Grundrecht, das die Bürger wahrnehmen."

Problematisch wird es an anderer Stelle werden: wenn Menschen Schienen blockieren, Löcher in Straßen buddeln, Steine aus Gleisbetten schaufeln. Dann wird es schwierig für die Polizei, sagt Brettschneider, schwierig zu entscheiden, wie viel sie zulassen darf. Zu unterscheiden zwischen Straftäter und Bürger, Straftat und zivilem Ungehorsam.

"Bei Ordnungswidrigkeiten gibt es einen Spielraum", sagt der Sozialpädagoge. "bei Straftaten nicht. Da unterliegt die Polizei dem Strafverfolgungszwang." Das gelte etwa für das sogenannte Schottern, das Entfernen von Steinen aus dem Gleisbett.

Wer aber warum wie lange lediglich auf dem Gleis sitzt und wie viel Gewalt die Polizisten dort einsetzen dürfen oder müssen, können zwar erfahrene Kollegen oft einschätzen. Aber der Großteil der eingesetzten Bereitschaftspolizisten ist jung. Und wird es schwer haben einzuschätzen, wer weggetragen und wer weggezerrt werden muss.

Dass da die Verhältnismäßigkeit der polizeilichen Einsätze immer gewahrt werden kann, bezweifelt auch Brettschneider. Ziel der Konfliktmanager ist daher, die Maßnahmen der Kollegen transparent zu machen - sei es über Lautsprecher oder im persönlichen Gespräch mit Demonstranten. Und das nicht erst am Wochenende des Transports, sondern bereits viel früher. Seit Juli ist Brettschneider in seiner Dienstzeit dabei, dieses Wochenende vorzubereiten. Er hat sich mit Anti-Atom-Gruppierungen getroffen, seine Kollegen besuchten Schulen. Früher sei die Polizei oft "sprachlos" gewesen, habe lediglich reagiert.

Jetzt wolle sie aktiv werden, "nicht manipulieren", sagt Brettschneider, aber Situationen beeinflussen: "Das gilt für alle Beteiligten und schließt uns selbst nicht aus." Das kann auch bedeuten, dass Polizisten ihren eigenen Gesichtsausdruck reflektieren. Dabei tragen die Beamten selbst ihre eigenen Ängste mit in den Einsatz, etwa vor der Strahlenbelastung durch die Castoren. Brettschneider: "Und Polizisten haben auch nur Nerven."

Vor zwei Jahren berichtete ein Polizeisprecher denn auch von "massiven Ausschreitungen und Gewalt". Doch Vorfälle wie in Stuttgart will Brettschneider im Wendland mit aller Macht verhindern. "Die Bilder sind verheerend", sagt der Konfliktmanager. "Ich kann nicht nachvollziehen, wie es dazu kommen konnte." Solche Bilder zu verhindern, sei Ziel seines Teams.

Was aber sagt er zu dem Vorwurf, dass Polizisten selbst als Provokateure eingesetzt werden? "Das entbehrt jeder Grundlage polizeilichen Handelns. Es darf nicht sein, es soll nicht sein, und ich kann es mir nicht vorstellen. Ich habe direkten Kontakt zu allen Führungsebenen in der Polizei. Die Verantwortlichen würden ihren Job aufs Spiel setzen, würden sie so etwas machen. Es ist auch nicht in ihrem Interesse, die Situation eskalieren zu lassen."